Inspector Alan Banks 02 Eine respektable Leiche
Verlauf des Tages hatte das nasse Wetter seiner Stimmung und seinem Rheumatismus derart zugesetzt, daß ihn Dr. Barnes am nächsten Morgen ins Bett stecken mußte. Inzwischen waren Angst und Zorn verraucht und einer tiefen Resignation gewichen; sein väterlicher Instinkt sagte ihm, daß Sally nicht einfach weggelaufen war - trotz der Differenzen, die sie gehabt hatten -, und er konnte nur noch daran denken, in welchem Zustand man sie wohl auffand - wenn überhaupt -, nach drei oder vier Nächten in dieser Wildnis da draußen.
Als erstes hatten sich die Suchtrupps das weite Moor im Norden von Helmthorpe, oberhalb des Crow Star, vorgenommen. Gristhorpe war sich wohl bewußt, bei dieser Entscheidung an den Fundort von Steadmans Leiche gedacht zu haben, fand sie aber dennoch vernünftig angesichts der Tatsache, daß es sich bei diesem Gebiet um das schwierigste Gelände der ganzen Gegend handelte - unwegsames, wildes Moor über sieben Meilen, bis zum angrenzenden Dale -, mit der höchsten Anzahl möglicher Verstecke: stillgelegte Bergwerke, tiefe Steinbrüche und unergründliche Höhlen.
Das einzige Resultat der sonntäglichen Aktion war ein Unfall, bei dem ein aus Askrigg abgestellter Constable in einen sieben Meter tiefen Grubenschacht stürzte. Glücklicherweise war der Aufprall durch das Wasser und den Schlamm, die sich unten angesammelt hatten, gemildert worden, aber man hatte zwei kostbare Stunden damit vertan, behelfsmäßige Leinen herzurichten und ihn hochzuziehen. Weiter oben auf dem Moor waren zwei kleinere Trupps so tief im Morast versunken, daß an ein Weiterkommen nicht zu denken war. Auch in den übrigen Gebieten ging die Suche nur langsam voran.
Am Montag herrschte strahlender Sonnenschein, und die Bodenbedingungen hatten sich deutlich gebessert. Gristhorpe war seit fünf Uhr morgens auf den Beinen, saß mit rotgeränderten Augen in der Nachrichtenzentrale, sammelte die eingehenden Meldungen der Suchtrupps, schraffierte seine Karte, die unterdessen mehr und mehr einem Schachbrett ähnelte, und weigerte sich standhaft, diese Aufgabe zu delegieren.
Gegen drei Uhr ließ er sich schließlich von Sergeant Rowe überreden, Banks aus seinem Büro zu holen und zu einem kleinen Spaziergang zu ermuntern.
Auf der Market Street drängten sich die Touristen aus den umliegenden Städten. Außerdem war heute Markttag, mit allerhand farbenprächtigen Buden und Ständen, die sich auf dem Platz vor der Kirche zusammendrängten und alles anboten, was verkäuflich war - von den Ausschußartikeln der Firma Marks & Spencer über Tafelgeschirr bis hin zu Toilettenbürsten. Auf den Tischen türmten sich gebrauchte Taschenbücher, Stapel von einfarbigen oder gemusterten Stoffen aus Baumwolle, Leinen, Musselin, Rayon, Denim oder Tüll, die fast bis zum Boden herabhingen, Berge von Schüsseln, Tellern, Gläsern oder Besteck. Dicht gedrängt umringten die Menschen die Marktschreier, die mit Tassen und Tellern jonglierten und die Vorzüge ihrer Ware priesen, und schlenderten dann in die engen, gewundenen Seitenstraßen - wo die Häuser so dicht standen, daß man sich von Fenster zu Fenster die Hand schütteln konnte und nie einen Sonnenstrahl sah -, zu den gutgehenden kleinen Souvenirläden und den prachtvollen Auslagen der Delikatessenhändler, die sämtliche Schmankerl der Region anboten, von Toffees über Tee bis zu Silberlöffeln und sonstigem Schnickschnack, alles hübsch verpackt und mit dem Gütesiegel «Yorkshire» versehen, unabhängig davon, wo die Ware tatsächlich herkam.
Die beiden Männer steuerten zu einer kleinen Teestube, ließen sich an einem Tisch nieder und bestellten Tee und Kuchen.
«Ich mußte einfach mal raus», meinte Gristhorpe mit einem schwachen Lächeln, während er sich mit einer Hand durch sein wirres, dichtes Haar fuhr und mit der anderen Zucker in seinen Teebecher löffelte. «Wird ganz schön stickig mit der Zeit in dem engen Kabuff.»
«Sie sehen auch völlig erledigt aus», stellte Banks fest und zündete sich eine Zigarette an. «Vielleicht sollten Sie doch nach Hause gehen und ein bißchen Schlaf nachholen.»
Gristhorpe knurrte unwillig und wedelte sich Banks Zigarettenrauch aus der Nase. «Ich dachte, Sie hätten sich das Stinkekraut abgewöhnt», brummte er. «Bin wohl wirklich 'n bißchen kaputt, schließlich bin ich ja auch nicht mehr der Jüngste. Aber es ist nicht nur die Müdigkeit, Alan... Haben Sie so was schon mal mitgemacht, eine solche
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