Inspector Alan Banks 02 Eine respektable Leiche
immer, Penny und Michael waren damals der Stolz des ganzen Dorfes, zwei intelligente, begabte junge Menschen, die noch ihr ganzes Leben vor sich hatten. Michael ein etwas linkischer, ernsthafter und romantischer junger Mann, der möglicherweise glaubte, Penny an einen älteren, erfahreneren Mann zu verlieren, sich statt dessen mit Keats, Shelley und sonstiger geistigen Kost tröstete und seine vornehme Melancholie pflegte, während Penny nichts weiter tat, als Steadmans Gesellschaft zu genießen. Sie hatten viel gemeinsam, ohne besondere amouröse Neigungen füreinander zu entwickeln, und wenn sie doch vorhanden gewesen sein sollten, wurden sie jedenfalls erfolgreich unterdrückt.» Er warf Penny einen raschen Seitenblick zu, aber sie schaute nur angelegentlich in ihr Glas.
«Nun denn», fuhr Banks nach einem tiefen Atemzug fort, «eines sonnigen Tages ist Penny also mit Steadman unterwegs zu irgendwelchen römischen Ausgrabungen in Fortford oder so, während Michael schmachtend im Garten liegt und, sagen wir, die Während die meisten anderen in Emma nur eine vorzeitig verblühte, verheiratete Frau sahen, gab ihr Michael das Gefühl, begehrenswert zu sein, und sie begriff, daß es eher von Vorteil war, wenn man sie für reizlos hielt. Auf diese Weise kam niemand auf die Idee, ihr eine außereheliche Affäre zuzutrauen.»
Banks hielt einen Augenblick inne, um einen Schluck Bier zu trinken, und stellte erfreut fest, daß die anderen gebannt zuhörten. «Das Verhältnis überdauerte die Jahre», fuhr er fort. «Es gab Brüche und zeitweilige Trennungen, wie fast überall, aber wie Ramsden berichtete, trafen sie sich auch häufig während seiner Zeit in London, wenn Emma ihre Einkaufstrips unternahm oder angeblich ihre Verwandten in Norwich besuchte. Was ihren Mann betrifft, so war er vollauf mit seinen Ruinen beschäftigt und wird sich kaum um ihre Ausflüge gekümmert haben.
Mit der Zeit gewann Emma immer mehr Macht über Michael. Sie war die erste Frau in seinem Leben, und sie nutzte diesen natürlichen Vorteil. Alles, was er auf dem Sektor Liebe wußte, hatte er von ihr gelernt. Er war unverändert schüchtern und fand es nach wie vor schwierig, mit Frauen seines Alters umzugehen. Aber warum sollte er sich Sorgen machen? Emma war da und gab ihm alles, was er brauchte, bei weitem mehr sogar, als die unerfahrenen jungen Dinger aus seiner Umgebung es je gekonnt hätten. Als Gegenleistung gab er ihr das Gefühl, jung zu sein, begehrenswert und mächtig. Ich denke, es war eine Art Zwangsbeziehung, bei der beide sich gegenseitig abhängig gemacht haben.
Mit den Jahren entwickelte Emma zwei ganz verschiedene Persönlichkeiten - womit ich nicht sagen will, daß es zu einer echten Spaltung im klinischen Sinne kam, nein, sie ist geistig völlig normal, was sie getan hat, war gewollt und klar kalkuliert -, aber sie hatte zwei Gesichter: eins für die normale Umwelt und ein anderes für Ramsden. Wenn man es recht bedenkt, war es im Grunde nicht besonders schwer, ihr Erscheinungsbild zu ändern. Es brauchte nur ihm zu gefallen, und das war kein Kunststück, da er ohnehin vollständig unter ihrem Einfluß stand. Sich bei ihren Besuchen in London zu verwandeln, war selbstverständlich gar kein Problem, aber selbst später, als sie in Gratly wohnte und er nach York gezogen war, genügte eine kleine Korrektur im Wagen, auf dem Weg zu ihm. Ein bißchen Makeup, eine andere Frisur und gegebenenfalls ein kleiner Kleiderwechsel in seiner Wohnung. Nach Harolds Tod war es übrigens noch
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