Inspector Alan Banks 02 Eine respektable Leiche
allerdings ähnliche Probleme. Er war zu voll - bestenfalls konnte man ihn sinnlich nennen -, und das würde sich wohl kaum von allein geben.
Nach eingehender Überprüfung des Sortiments an Tuben, Paletten, Pinseln, Stiften und Flaschen auf ihrem Tisch, traf sie sachkundig ihre Wahl zwischen den verschiedenen Tönen und Schattierungen, mit denen man die guten Partien betonen und die schlechten überdekken konnte. Schließlich kam Chief Inspector Banks aus London, wie sie gehört hatte, und konnte selbstverständlich erwarten, daß eine Frau das Beste aus sich machte.
Während sie das Make-up auftrug, spielte sie im Kopf noch einmal alles durch, stellte sich vor, was sie sagen und wie Banks dann aufspringen und hinausstürzen würde, um die Verhaftung vorzunehmen. Konnte man sich einen besseren Start wünschen, als angehender Star? Vorsichtig trug sie den Eyeliner auf und überlegte, daß es doch noch etwas Besseres gab - selbst den Mörder zu fangen.
* III
Banks saß in seinem Büro und blickte über den Marktplatz mit seinem alten, holprigen Kopfsteinpflaster. Die goldenen Zeiger auf dem blauen Zifferblatt der Kirchturmuhr standen auf Viertel nach zehn. Eine kleine Gruppe von Touristen hatte sich vor dem schlichten, massiven Bau versammelt, um Fotos zu machen, und über die schmale Market Street schlenderten die Kauflustigen, paarweise oder zu dritt, sich gelegentlich Grüße zuwerfend, die durch das offene Fenster bis zu Banks' Büro drangen. Seit fast zwei Stunden saß er nun schon an seinem Schreibtisch, studierte die laufend eingehenden Berichte über den Fall Steadman und versuchte, die Informationen gedanklich zu ordnen.
Am Abend zuvor hatte er sich relativ früh von den Herren am Stammtisch verabschiedet, war vom Bridge aus direkt nach Hause gefahren und mit einem Becher heißen Kakao sofort zu Bett gegangen. Aus diesem Grund hatte er sich heute morgen ungewöhnlich frisch und ausgeruht gefühlt, sehr zur Überraschung von Sandra und den Kindern, die wie üblich noch halb schlafend am Frühstückstisch gehangen hatten.
Im Büro hatte er eine Nachricht von Constable Weaver vorgefunden mit der Mitteilung, daß die Haus-zu-Haus-Befragung keine nennenswerten Ergebnisse gebracht hatte. Einer der Anwohner hatte zwar gegen halb zwölf ein Motorrad vorbeifahren hören und zwei Personenwagen zwischen Mitternacht und Viertel vor eins (allem Anschein nach hatte er nach einem indischen Essen in Harrowgate Sodbrennen gehabt und nicht einschlafen können), alle übrigen Befragten waren jedoch entweder außer Haus gewesen oder im Tiefschlaf. Eine Frau, die beim Abendgottesdienst den Anschlag am Kirchenbrett gesehen hatte, war bereits frühmorgens auf dem Revier erschienen, um einen Haufen Unsinn über den Teufel, gefallene Engel, Skinheads und die gestiegenen Lebensmittelpreise zum besten zu geben. Wie Sergeant Rowe lachend berichtete, hatte der geduldige Weaver versucht, die Dame zu etwas präziseren Angaben zu bewegen, und dabei lediglich erfahren, daß sie den ganzen Samstag - einschließlich der Nacht - bei ihrer in Pocklington verheirateten Tochter verbracht hatte.
Er bastelte an seiner Pfeife herum und runzelte verärgert die Stirn angesichts der Tatsache, daß die Arbeit bisher so wenig gebracht hatte. Dabei waren die ersten vierundzwanzig Stunden immer die entscheidenden bei den Ermittlungen zu einem Mordfall. Je mehr Zeit verstrich, desto schwächer wurde die Spur. Natürlich war auch die Presse wieder über ihn hergefallen bei seiner Ankunft heute morgen. Er hatte höflich bedauernd mitgeteilt, es gebe nichts zu berichten, eingedenk der Regel, daß man mindestens noch vier Trümpfe im Ärmel haben mußte, bevor man einen zur Veröffentlichung freigab.
Immerhin blieb noch die Chance, daß einem der Campingplatzbesucher etwas aufgefallen war - was er allerdings bezweifelte. Die meisten der Gäste, die man noch am Sonntag befragt hatte, waren entweder erst am Morgen gekommen oder hatten nichts gehört und gesehen. Von den Samstagskunden waren viele bereits vor der Entdeckung der Leiche wieder abgereist. Wie der Platzmanager erklärte, mußten die Mieter ihren Platz bis zehn Uhr vormittags geräumt haben, wenn sie nicht für einen weiteren Tag bezahlen wollten. Bedauerlicherweise führte er keine Liste über die Namen und Adressen seiner Gäste, ebensowenig hatte er jemanden herumlaufen und mit einem blutverschmierten Hammer oder Kerzenleuchter wedeln sehen.
Sergeant
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