Inspector Alan Banks 02 Eine respektable Leiche
mußte man sich heutzutage wohl über gar nichts mehr wundern, wenn die Leute ohne weiteres bereit waren, sich von den Werbemachern einreden zu lassen, bestimmte Frühstücksflocken oder Zahncremes seien «wissenschaftlich erprobt» und allen anderen Produkten überlegen.
Pünktlich um elf steckte Sergeant Hatchley seinen Kopf durch die Zimmertür. Obwohl der Bürokaffee dank der Anschaffung eines Filterautomaten erheblich verbessert worden war, hatten die beiden Männer an ihrer Gewohnheit festgehalten, die Frühstückspause außer Haus zu verbringen, im Golden Grill schräg gegenüber.
Hier und da einen Einheimischen begrüßend, bahnten sie sich einen Weg durch die Touristenmenge, betraten das Café und setzten sich an den einzigen freien Tisch, hinten vor den Waschräumen. Die kleine Kellnerin hob hilflos die Schultern, um sich bei ihren Stammgästen zu entschuldigen, und rief über die Tische hinweg:
«Wie üblich?»
«Ja, bitte, Gladys, mein Herz!» rief Hatchley zurück und meinte damit Kaffee und getoastete Teekuchen für beide.
Er deponierte seine Ledermappe auf dem rot-weiß karierten Tischtuch, fuhr sich mit der Hand durchs Haar, nahm eine Zigarette und fragte erbost: «Wo steckt eigentlich dieser verdammte Richmond?»
«Auf einem Lehrgang, wußten Sie das nicht?»
«Was? Auf welchem Lehrgang denn?»
«Der Super hat doch ein Rundschreiben kursieren lassen.»
«So was les ich nicht.»
«Sollten Sie aber vielleicht.»
«Und? Worum geht's bei diesem fabelhaften Lehrgang?» erkundigte sich Hatchley mit finsterer Miene.
«Um irgendwelche Computer. Findet unten in Surrey statt.»
«Ein Schwein hat der Knabe! Wohnt bestimmt nett am Meer und buddelt im Sand.»
«Surrey liegt nicht am Meer.»
«Ach, er wird's schon finden. Wie lange ist er weg?»
«Zwei Wochen.»
Hatchley fluchte, hielt sich aber mit weiteren Äußerungen zu diesem Thema zurück, weil eben die Bestellung serviert wurde. Banks wußte ohnehin, was sein Sergeant gegen solche Seminare einzuwenden hatte: Erstens fand er jede Art von Fortbildung etwa so nützlich wie ein defektes Kondom; zweitens - und das war weit schwerwiegender - würde die langweilige Lauferei im Fall Steadman an ihm selbst hängenbleiben, solange Detective Constable Richmond nicht verfügbar war.
«Hab das Alibi von diesem Barnes heute morgen überprüft, wie befohlen», meldete Hatchley und griff nach seinem Teegebäck.
«Und?»
«Ist in Ordnung, er war Tatsache bei dieser Mrs. Gaskell. Scheint echt Probleme zu haben mit der Schwangerschaft, die Lady.»
«Um welche Zeit war das?»
«Wie der Ehemann sagt, ist er um halb zehn gekommen und war um Viertel nach zehn wieder weg.»
«Demnach hätte er vorher oder nachher ohne weiteres die Möglichkeit gehabt, Steadman umzubringen und die Leiche in seinem Kofferraum zu verstecken.»
«Hat aber kein Motiv», meinte Hatchley.
«Zumindest keins, von dem wir wüßten. Was ist das da?» fragte Banks und deutete auf die Mappe.
«Infos über Steadman», nuschelte Hatchley mit vollem Mund.
Banks widmete sich seinem Teegebäck und sah das Material durch. Den Unterlagen zufolge war Steadman vor knapp dreiundvierzig Jahren in Coventry geboren, zu einer Zeit, wo das Geschäft seines Vaters noch in den Anfängen stand. Nach dem Besuch der örtlichen Grammar School hatte er ein Stipendium für Cambridge bekommen und sein Geschichtsstudium mit Auszeichnung abgeschlossen.
Anschließend hatte er in Birmingham und Edinburgh weiterstudiert und mit sechsundzwanzig Jahren bereits einen Posten als Hochschullehrer an der Universität von Leeds bekommen. Im Rahmen dieser Tätigkeit befaßte er sich zunehmend mit dem Gebiet der Industriearchäologie, einem damals noch jungen Teilbereich der Landesgeschichte und der Denkmalpflege. Im ersten Jahr seiner Universitätslaufbahn ereigneten sich zwei wichtige Dinge: der Tod seiner Mutter, kurz vor Weihnachten, und die Eheschließung mit Emma Hartley, Ende des Wintersemesters. Zu diesem Zeitpunkt kannte er Emma schon zwei Jahre. Sie war die einzige Tochter eines Ladenbesitzers aus Norwich und hatte in Edinburgh als Bibliothekarin gearbeitet, während Steadman dort seine Studien fortsetzte. Emma war fünf Jahre jünger als ihr Mann, und die beiden hatten keine Kinder.
Das Paar hatte seine Flitterwochen in Gratly verbracht, in dem Haus, das sie inzwischen gekauft hatten. Hatchley
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