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Inspector Alan Banks 02 Eine respektable Leiche

Titel: Inspector Alan Banks 02 Eine respektable Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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in der federleichten Brise.
      Schließlich kristallisierte sich aus den allgemeinen Wahrnehmungen ein einzelner Tag heraus. Ein besonders heißer Tag, so heiß, daß sich Emma geweigert hatte, den schützenden Schatten zu verlassen, aus Angst, ihre empfindliche Haut zu verbrennen. Michael war aus irgendwelchen Gründen schlechter Laune gewesen und zu Hause geblieben, um Chattertons Gedichte zu lesen. So waren nur Penny und Harry übriggeblieben. Sie waren den ganzen Weg bis zum Wensleydale gewandert, Harry an der Spitze, groß und stark, und Penny hinterher, angestrengt bemüht, mit ihm Schritt zu halten. Hoch oben am Hang, oberhalb von Bainbridge und unter Semerwater, hatten sie eine Rast gemacht, mit Lachs belegte Brote gegessen, kühlen Orangensaft aus der Thermoskanne getrunken, sich in der Sonne geaalt und hinuntergeschaut auf das winzige Dorf mit seiner gepflegten kleinen Grünanlage und der römischen Festung. Sie hatten die weiß verwitterte Fassade des aus dem 15. Jahrhundert stammenden Rose and Crown erkennen können und den Lauf des Bain, der sich tanzend und Fontänen sprühend über seine Wasserfälle ergossen hatte, hinunter ins schimmernde Band des langsam dahinfließenden Ure.
      Dann verblaßte das Bild, löste sich ganz auf, und die Gegenwart kam zurück. Der Gedanke an Harry hatte die Vergangenheit so lebhaft wieder auferstehen lassen, daß sie sich in längst vergangenen Zeiten zurückversetzt fühlte. In die sumpfigen Niederungen des Tals mit ihrem undurchdringlichen Dickicht, in das sich niemand hineinwagte. In die kreisrunden Hütten hoch oben an den Hängen, auf den Lichtungen, wo sich Kalkfelsen und Sandstein an die Oberfläche drängten und die Bergbauern Unterschlupf suchten, um der Jagd nachzugehen, kargen Hafer anzubauen und ein paar magere Schafe und Rinder aufzuziehen. Unten auf der Straße marschierte eine römische Patrouille, seltsam fremd in dieser kalten, abweisenden Landschaft, und doch voller Selbstvertrauen, dank ihrer schimmernden Helme und der schweren, wallenden Umhänge, die sie mit prächtigen Spangen über ihren Brustpanzern befestigt hatten.
      Allmählich überlagerten sich die Bilder. Zehn Jahre oder siebzehn Jahrhunderte, für Harry hatte es keinen Unterschied gemacht. Deutlich empfand sie den unbeugsamen Stolz der Briganten und das dreiste Selbstvertrauen der römischen Eroberer. Sie konnte sogar nachempfinden, daß Cartimandua, die Königin, mit Eindringlingen paktierte, die dem barbarischen Vorposten immerhin neue und zivilisierte Lebensformen brachten. Doch der Widerstand wuchs und breitete sich in allen Dales aus, als Venutius, der ehemalige Gatte der Königin, die Rebellen um sich scharte zur letzten großen Schlacht bei Stanwick, nördlich von Richmond - und sie verlor.
      Das alles hatte Harry vor ihren Augen erstehen lassen. Mitunter hatte sie zwar ein unerklärliches Gefühl von Fremdheit und Unbehagen verspürt, das sich aber stets wieder verflüchtigte, sobald er das Vergangene lebendiger werden ließ als die Gegenwart. Ganz schön unschuldig war ich damals, dachte Penny und mußte lachen über ihre Naivität. Dabei war ich schon sechzehn. Hat verdammt lange gedauert, bis ich erwachsen war, und mühsam war's auch.
      Plötzlich fielen ihr wieder die alten Münzen ein, die sie sich im Museum von York angesehen hatten - mit Inschriften wie VOLISIOS, DUMNOVEROS und CARTIMANDUA und die Bleibarren mit dem Prägestempel IMP. CAES: DOMITIANO: AVG. COS: VII auf der Vorderseite und den Buchstaben BRIG auf der Rückseite. Damals waren ihr die lateinischen Abkürzungen wie geheimnisvolle Zauberformeln vorgekommen.
      Von neuem tauchte sie ab in das Reich ihrer Träume. Der Joint war lange verglüht, die Kassette abgespielt, der Whisky zur Neige gegangen. Die Flut der Erinnerungen wurde immer schneller und dichter und verschwand ebenso plötzlich, wie sie gekommen war, um eine tiefe Leere zu hinterlassen. Es gab kein Wort mehr, keine Bilder, nur noch den schwachen Abglanz unbestimmter Gefühle.
      Sie trank den letzten Schluck Whisky, zündete die ausgedrückten Zigarettenstummel wieder an und rauchte sie zu Ende. Langsam rannen die ersten Tränen über ihre Wangen, später in dieser Nacht wurde sie von einem tiefen, herzerweichenden Schluchzen geschüttelt.
     
     

* KAPITEL 4
     
    * I
     
    Warm und klar wie die voraufgegangenen fünf Tage dämmerte der Montagmorgen über Helmthorpe heran. Ein eher ungewöhnliches Ereignis zu dieser Jahreszeit, das

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