Inspector Alan Banks 02 Eine respektable Leiche
kennst, öffne dein barmherziges Ohr unseren Gebeten und verschone uns von dem Übel, o Herr, von nun an bis in Ewigkeit, Amen.» Auf Mrs. Steadmans Wunsch ließ er den 23. Psalm folgen: «Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Wiese und führet mich zum frischen Wasser... Ja, ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir; dein Stecken und Stab trösten mich... Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar. » Es war eine düstere Pastorale, ein seltsam schauerlicher, aber angemessener Abgesang auf einen Mann, der gewaltsam aus dem Leben geschieden war.
Für Sally Lumb - die zusammen mit Hazel, Kathy, Anne und Rektor Buxton die Eastvale Comprehensive School vertrat - war das Schauspiel in der Tat eine höchst bedrückende und unerfreuliche Angelegenheit. Schon allein deshalb, weil das adrette dunkelblaue Kostüm, das sie auf Wunsch ihrer Mutter angezogen hatte, viel zu warm war; die Bluse klebte an ihrem Körper, und die Schweißperlen, die gelegentlich über ihren Rücken rannen, kitzelten wie Spinnenbeine.
Reverend Caxton warf eine Handvoll Erde auf den Sarg und sprach: «Nun, da es Gott, dem Allmächtigen, in seiner großen Güte gefallen hat, die Seele unseres lieben Bruders zu sich zu nehmen, wollen wir seinen Leib der Erde übergeben.»
Um sich die Zeit zu vertreiben, beobachtete Sally verstohlen die übrigen Trauergäste, unter denen Penny Cartwright die bei weitem interessanteste Person darstellte. Sie war von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt, was einen krassen Gegensatz bildete zu der extremen Blässe ihres Gesichts. Sie trug gerade so viel Make-up, um die dunklen Augenringe zu verbergen und die hohen Wangenknochen zu betonen, die ihr ein tragisch-romantisches Flair gaben. Sie sah wirklich außerordentlich schön aus, dachte Sally, wenn auch auf eine grelle, merkwürdig erschreckende und ausgefallene Art. Demgegenüber machte Emma Steadman in ihrem konservativen, aus der Mode geratenen kohlegrauen Kostüm nicht besonders viel her. Sally fand, daß sie sich schon etwas besser hätte herrichten können, und fügte in Gedanken einen Hauch von Rouge, etwas Lidschatten und eine Spur Lippenstift hinzu, um sich gleich darauf heftig zu schämen, bei einem so traurigen Anlaß an derart weltliche Dinge zu denken; schließlich war Mrs. Steadman immer sehr nett zu ihr gewesen.
«Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub; in der sicheren Hoffnung und Zuversicht auf ein ewiges Leben an der Seite unseres Heilands Jesus Christus, der unsere sterbliche Hülle wieder...»
Zwischen den beiden trauernden Frauen stand Michael Ramsden. Sein Ausdruck erinnerte Sally an die verlorenen, blutleeren Gestalten aus den Schwarzweiß-Gruselfilmen von Kanal Vier, auf die ihre Mutter so versessen war. An Pennys anderer Seite hatte sich Jack Barker aufgebaut, in einem dunklen Anzug mit schwarzer Trauerbinde. Er sah echt umwerfend und abenteuerlich aus mit seinem Errol-FlynnSchnurrbart und dem kühnen Funkeln in den Augen, und Sally verlor sich für ein paar Augenblicke in wild verwegene Phantasien.
Mit dem Polizisten, diesem Banks, brauchte sie sich nicht lange aufzuhalten. Zugegeben, er sah gut aus, so hager und knochig, wie er war, und die Narbe gab ihm etwas Geheimnisvolles, aber sie hatte inzwischen sein wahres Gesicht erkannt und es nicht besonders spannend gefunden. Er war ein Blindgänger, keine Frage; hatte in London gelebt, mitten im Abenteuer, und jede Menge Chancen gehabt, ein großer Held zu werden, aber lieber darauf verzichtet und sich verdrückt, in dieses gottverlassene Kaff. War eben früh vergreist, klarer Fall. Doc Barnes war grau und nichtssagend wie immer, und Teddy Hackett hatte sich einen protzigen Goldklunker umgehängt, der bei jedem Mal, das er nervös von einem Fuß auf den anderen trat, vor dem schwarzen Hemd hin und her baumelte und in der Sonne blitzte.
«... nach seinem göttlichen Ebenbilde, vermittels seines allmächtigen Wirkens, seiner alles überwindenden Kraft.»
Als Sally sich wieder den eigentlichen Bestattungsfeierlichkeiten zuwandte, war bereits alles vorbei. Langsam, als falle es schwer, den Verstorbenen für immer zu verlassen, zogen die Trauergäste von dannen. Penny und Emma umklammerten ihre Taschentücher und den Arm des jeweils nächststehenden Mannes. In Pennys Fall handelte es sich um Jack Barker, und
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