Inspector Alan Banks 02 Eine respektable Leiche
schon einiges gehört über den sturen und eigensinnigen Charakter der Bewohner von Yorkshire. Doch hinter der rauhen Schale dieses Menschenschlags verbarg sich eine Menge Gutmütigkeit, die er zu schätzen gelernt hatte, ebenso wie ihre stoische Gelassenheit, ihren schlagfertigen Witz und den Sinn fürs Praktische und Vernünftige.
Außerdem gefiel er sich in der Rolle des Außenseiters. Er fühlte sich keineswegs als Fremder - wie etwa in der anonymen, polyglotten Masse der Londoner -, sondern einfach nur als Zugereister, der er immer bleiben würde, unabhängig davon, wie stark er mit dieser Gegend noch verwachsen sollte.
Die Pfeife zog immer noch nicht richtig. Entnervt klopfte er sie aus und versuchte, sich wieder auf seinen Fall zu konzentrieren. Es war ein schmutziges Geschäft, wie jeder Mord, aber in einer Umgebung wie dieser hatten solche Dinge geradezu etwas Gotteslästerliches. Die Menschen in diesem kleinen Tal, ihre Prioritäten, Überzeugungen und Anliegen, ihre ganze Art zu leben war völlig verschieden vom Leben in einer Stadt wie London oder selbst Eastvale. Und er hatte Zweifel, ob seine Außenseiterrolle, wie Gristhorpe vermutet hatte, tatsächlich ein Vorteil war, ihm zu einer neuen und anderen Perspektive verhelfen würde; bislang ließ sich die Sache jedenfalls eher zäh an.
Er drehte sich um, als plötzlich ein langer Schatten auf den weißen Gartentisch fiel, und entdeckte Michael Ramsden, der eben im Innern des Lokals verschwand.
«Mr. Ramsden!» rief er ihm nach. «Hätten Sie einen Moment Zeit?»
Ramsden wandte sich um. «Ah, Chief Inspector Banks. Ich hatte Sie gar nicht gesehen...»
Banks war sicher, daß er log, zog jedoch keine voreiligen Schlüsse daraus. Es war üblich, daß die Leute versuchten, der Polizei aus dem Wege zu gehen. Ramsden ließ sich, halb schwebend, auf der Stuhlkante nieder, um schon durch seine Haltung kundzutun, daß er nicht die Absicht hatte, länger als ein paar Minuten zu verweilen.
«Ich dachte, Sie wären auf dem Leichenschmaus», meinte Banks.
«War ich auch, aber Sie wissen ja, wie so was läuft. Die aufgesetzte Fröhlichkeit und diese gräßliche Bonhomie, um darüber hinwegzutäuschen, was passiert ist. Und natürlich gibt's immer ein paar, die unweigerlich zu tief ins Glas gucken und Blödsinn reden.» Er zuckte mit den Achseln. «Ich hab es jedenfalls vorgezogen zu gehen. Was kann ich für Sie tun? Haben Sie noch eine Frage?»
«Ja. Ich wollte wissen, ob Sie ganz sicher sind, daß Sie am Samstag nicht ausgegangen sind.»
«Natürlich bin ich sicher, das hab ich Ihnen doch schon gesagt.»
«Das weiß ich, aber mir liegt daran, wirklich jeden Zweifel auszuräumen. Also, wie ist es? Auch nicht für ein halbes Stündchen oder ein paar Minuten?»
«Sie haben doch gesehen, wie ich wohne. Was glauben Sie, wo ich da hingehen sollte?»
Banks lächelte. «Oh, vielleicht auf einen kleinen Spaziergang? Oder ein bißchen Jogging? Ich hab mir sagen lassen, daß Schriftsteller manchmal blockiert sind.»
«Wie wahr», lachte Ramsden, «allerdings nicht für mich, zumindest nicht an dem bewußten Samstag. Ich war den ganzen Abend über zu Hause. Außerdem hatte Harry einen Schlüssel und hätte drinnen auf mich warten können.»
«Ist das schon vorgekommen?»
«Ja, einmal. Als ich länger im Büro bleiben mußte.»
«Es ist also nicht denkbar, daß er beispielsweise einen anderen Bekannten in der Umgebung aufgesucht hat und später zurückkommen wollte?»
«Ich glaube nicht, daß Harry noch irgendwelche anderen Leute in oder bei York gekannt hat. Jedenfalls nicht gut genug, um einfach so ins Haus zu schneien. Warum wollen Sie das eigentlich wissen, wenn die Frage erlaubt ist?»
«Wir müssen herausfinden, wo sich Mr. Steadman aufgehalten hat, zwischen 22 Uhr 15 und dem Zeitpunkt seines Todes. Aber es gibt noch einen anderen Grund», fügte er rasch hinzu, als er Ramsdens Ungeduld bemerkte. «Ich würde gerne etwas mehr über die Vergangenheit erfahren. Über Ihre Beziehung zu Penny Cartwright.»
Ramsden seufzte und nahm eine bequemere Sitzposition ein.
«Etwas zu trinken?» erkundigte sich Banks, als ein weißgeschürzter Kellner vorbeiging.
«Von mir aus, wenn Sie schon vorhaben, mich noch eine Weile festzuhalten... Aber das liegt doch alles so weit zurück, und ich kann mir wirklich nicht vorstellen, was diese Geschichten mit Harrys Tod zu tun
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