Inspector Alan Banks 02 Eine respektable Leiche
dem Boden verstreut lagen.
Mit einem Ausdruck hilfloser Verzweiflung tastete sich die verwitwete Mrs. Steadman zur Zimmermitte vor und deutete auf das Durcheinander rundum. «Alles seine Bücher. Ich kann's einfach nicht ertragen, daß sie hier rumstehen, aber jetzt weiß ich nicht, was ich damit anfangen soll.» Im Vergleich zu der Begegnung am voraufgegangenen Montag wirkte sie deutlich weniger frostig, verletzlich geradezu, inmitten dieser Trümmer eines Lebens zu zweit.
«Meines Wissens gibt es ein Buchantiquariat in Eastvale. Sicher brauchen Sie den Besitzer nur anzurufen und hierherzubitten», empfahl Banks. «Ich denke, er wird Ihnen die Sachen zu einem fairen Preis abnehmen. Oder wie wär's mit diesem Thadtwistle in Helmthorpe?»
«Danke, das ist eine gute Idee», meinte Mrs. Steadman und setzte sich. «Aber ich werde wohl noch ein bißchen damit warten müssen. Im Moment kann ich das alles noch gar nicht fassen. Was soll ich bloß mit seinen ganzen Sachen machen? Ich wußte gar nicht, wieviel Zeug er in all den Jahren gesammelt hat. Am liebsten würde ich einfach alles liegen- und stehenlassen, von hier weggehen und irgendwo anders neu anfangen.»
«Sie wollen also nicht in Gratly bleiben?» erkundigte sich Hatchley.
Sie schüttelte den Kopf. «Nein, Sergeant, ich glaube nicht. Mich hält hier nichts. Das hier war Harolds Platz. Und seine Arbeit.»
«Wohin werden Sie gehen?»
«Das hab ich mir noch nicht überlegt. Wahrscheinlich in die Stadt. Nach London vielleicht», antwortete sie mit einem Blick zu Banks.
«Darüber sollten Sie sich im Moment noch nicht den Kopf zerbrechen», meinte er. «Lassen Sie sich Zeit, dann werden sich die Dinge von allein regeln.»
Nach einem kurzen Schweigen erbot sich Mrs. Steadman, einen Tee zu kochen, was Banks zu Hatchleys Bedauern jedoch ablehnte. «Nein, danke. Wir wollten nur mal eben vorbeischauen, weil wir gerade in der Gegend zu tun hatten.»
Sie zog die Augenbrauen hoch, als wolle sie ihn ermuntern, endlich zur Sache zu kommen.
«Es handelt sich um Penny Cartwright», begann Banks, wohl registrierend, daß sein Gegenüber bei diesem Namen keine Miene verzog. «Offenbar standen sich Ihr Mann und Miss Cartwright sehr nahe. Hat Sie das nicht gestört?»
«Was meinen Sie? Warum soll mich das gestört haben?»
«Nun ja», fuhr Banks behutsam fort, «Miss Cartwright ist immerhin recht attraktiv, und die Leute reden gern. Im Fall von Miss Cartwright schon seit eh und je. Haben Sie sich nie Sorgen gemacht, daß Ihr Mann vielleicht ein Verhältnis mit ihr haben könnte?»
Es war offensichtlich, daß Emma Steadman eher verblüfft als verärgert war, als handle es sich um eine Vorstellung, die ihr noch nie in den Sinn gekommen war. «Aber sie waren Freunde, seit Jahren schon», antwortete sie. «Seit sie noch ein ganz junges Mädchen war und wir zum erstenmal unsere Ferien hier verbrachten. Ich habe sie... ich meine, ich bin nie auf die Idee gekommen, in ihr etwas anderes zu sehen als das, was sie damals war. Ein Teenager oder eine Art Tochter, aber doch keine Rivalin, wirklich.»
Banks fand, daß es schon von bemerkenswerter Arglosigkeit zeugte, wenn man eine nur zwölf oder dreizehn Jahre jüngere Person noch als Kind betrachtete, zumal wenn dieses Kind schon über sechzehn und damit eher eine junge Frau war. «Mit anderen Worten, Sie sahen keinen Grund zur Beunruhigung oder gar zur Eifersucht?» hakte er nach.
«Nicht im geringsten, nein. Wie ich bereits sagte, Chief Inspector - sie gehörte gewissermaßen zur Familie, seit Jahren. Sie werden vermutlich erfahren haben, daß sie damals mit Michael Ramsden zusammen war. Er hat sie oft mit hierhergebracht - schließlich war das ja auch noch sein Elternhaus zu der Zeit, und wir kamen nur als Sommergäste. Ich glaube, sie hatte viel mit Harry gemeinsam. Sie hat zu ihm aufgesehen wie zu einem Lehrer, einem Mann von Wissen und Lebenserfahrung. Genau wie Michael übrigens. Tut mir leid, aber ich fürchte, ich weiß wirklich nicht, worauf Sie eigentlich hinauswollen.»
«Ich habe mich lediglich gefragt, ob Sie Ihren Mann vielleicht im Verdacht hatten, eine Liaison zu haben mit Penny Cartwright.»
«Keineswegs. Was ist eigentlich los? Erst zweifeln Sie den Zustand meiner Ehe an, und nun beschuldigen Sie meinen Mann des Ehebruchs. Was soll das?»
Banks hob abwehrend die Hand. «Moment, ich habe keinerlei Beschuldigungen ausgesprochen. Ich
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