Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
ertragen würde. Seitdem Gemma verschwunden war, ging sie überhaupt nicht mehr gerne aus. Und das lag vor allem daran, dass ihr die Leute, sobald sie sie sahen, vorwurfsvolle Blicke zuwarfen und ihr das Gefühl gaben, sie würde nicht so trauern, wie es sich gehörte. Deshalb blieb sie lieber zu Hause, nahm noch ein Beruhigungsmittel und schenkte sich einen kleinen Gin ein. Und erneut fragte sie sich, was eigentlich los war.
Sie wusste nur, dass die Polizei am frühen Abend bei ihr geklingelt hatte, weil sie nach Les suchten. Er war natürlich unterwegs gewesen, und obwohl sie tatsächlich nicht gewusst hatte, wo er sich befand, war sie sicher, dass der Polizist ihr nicht geglaubt hatte. Als sie sich erkundigt hatte, worum es ging, hatte sie keine Antwort erhalten. Wenn es etwas mit Gemma zu tun gehabt hätte, dann hätte man es ihr doch bestimmt gesagt, oder?
Sie betrachtete den Fernseher und den Videorekorder. Vielleicht ging es ja um diese Geräte. Ihr war klar, dass sie gestohlen waren. So dumm war sie nun auch wieder nicht. Les hatte natürlich nichts dergleichen verlauten lassen, aber er verriet ihr sowieso nie etwas. Er hatte die Geräte eines Nachmittags mit Johns Transporter vorbeigebracht und behauptet, sie stammten aus einer Konkursmasse. Jedes Mal, wenn die Polizei wegen Gemma gekommen war, hatte Brenda befürchtet, dass sie die Geräte als Diebesgut erkennen und sie verhaften würden. Aber das war nicht passiert. Vielleicht hatten sie jetzt mehr Beweise und deshalb beschlossen, Les zu verhaften.
Wie ihr Leben sich innerhalb von nur einer Woche derartig verändern konnte, ging über ihren Verstand. Aber es hatte sich schlagartig verändert und selbst das Beruhigungsmittel half ihr nicht darüber hinweg. Mit Lenora Carlyle im Fernsehen aufzutreten hatte sie sehr genossen - das war der Höhepunkt ihrer Woche gewesen. Aber der Auftritt hatte zu nichts geführt. Auch die Suchaktionen der Polizei, die Rekonstruktion des Falles in »Crimewatch« und ihre Appelle in den Zeitungen hatten zu nichts geführt. Und als sie jetzt so dasaß und über den Besuch der Polizei nachdachte, begann sie sich zu fragen, ob vielleicht Les auf irgendeine Weise etwas mit Gemmas Verschwinden zu tun hatte. Wie oder warum konnte sie sich nicht erklären - außer, dass er nicht besonders gut mit Gemma ausgekommen war -, aber er hatte sich in der letzten Zeit wirklich merkwürdig verhalten.
Und je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr verlor sie das Vertrauen in Lenoras Überzeugung, dass Gemma noch am Leben war. Sie konnte einfach nicht mehr leben. Nicht nach all dieser Zeit, nicht nachdem ihr die blutverschmierte Kleidung zur Identifikation gebracht worden war. Und abgesehen von dieser einen Aussage hatte Lenora auch nichts weiter hervorgebracht. Wenn sie eine gute Hellseherin war, dann sollte sie doch wohl dazu in der Lage sein, sich vorzustellen, wo sich Gemma befand. Aber nein, nichts. Und wenn Gemma tatsächlich irgendwo am Leben war? Man durfte gar nicht daran denken. Seit ihre Tochter verschwunden war, fühlte sie sich ihr näher als jemals zuvor.
Immer wieder kreisten ihre Gedanken auch um Mr Brown und Miss Peterson. Hätte sie wissen müssen, dass die beiden nicht diejenigen waren, für die sie sich ausgegeben hatten? Und hätte sie das Kind so einfach gehen lassen, wenn sie kein schlechtes Gewissen gehabt hätte, weil sie Gemma nicht so liebte, wie es sich für eine gute Mutter gehörte, und weil sie sie in der Woche davor geschüttelt hatte? Die beiden waren unglaublich überzeugend gewesen und eher freundlich und verständnisvoll als anklagend aufgetreten. Sie hatten so jung, so offiziell und so kompetent ausgesehen. Und woher sollte sie wissen, wie Sozialarbeiter vom Jugendamt eigentlich aussahen?
Erneut dachte sie an den Polizeibeamten, der am frühen Abend gekommen war. Vielleicht hatten sie Gemma gefunden und es gab Hinweise, die zu Les führten. Aber sie konnte sich immer noch nicht vorstellen, was er mit der Sache zu tun haben sollte. Er war unterwegs gewesen, als die Sozialarbeiter geklingelt hatten. Trotzdem gab es keinen Zweifel, dass die Polizei hinter ihm her war. Wenn er auch nur das Geringste mit Gemmas Entführung zu tun hatte, dachte Brenda, dann würde sie ihn umbringen. Scheiß auf die KonSequenzen. Es war sowieso alles seine Schuld. Ja, dachte sie und griff wieder nach der Ginflasche. Sie würde den Mistkerl umbringen. Aber nun war sie die trüben Gedanken und Sorgen
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