Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
wellige blonde Haar war in der Mitte gescheitelt und reichte ihr bis auf die Schultern. Sie trug ein burgunderrotes Prinzesskleid mit langen, schmalen Ärmeln, das vorn durchgeknöpft war. An der Taille war es abgenäht, damit man sehen konnte, wie dünn sie war - fast so dünn wie Marlene Dietrich.
Der Tanzabend fand im Kasino statt. Wir hörten die Musik schon von weitem. Es war das Lied, das ich mich erinnerte, einige Monate zuvor am Piccadilly Circus gehört zu haben: »Take the >A< Train«. Vor dem Eintreten legten wir uns noch einmal das Haar und überprüften unser Aussehen ein letztes Mal im Taschenspiegel. Dann zogen wir die Mäntel aus - auf keinen Fall wollten wir in den schweren Wintermänteln eintreten -, stopften unsere Straßenschuhe in die Taschen und streiften die Tanzschuhe über. Endlich bereit, hatten wir unseren großen Auftritt.
Zwar wurde die Musik nicht unterbrochen, doch ich möchte schwören, dass sie einen Augenblick leierte, so wie es Schallplatten tun, wenn sie sich verzogen haben. Ein Sextett spielte auf einer improvisierten Bühne am anderen Ende gegenüber der Theke, alle gekleidet in amerikanische Fliegeruniformen. Ich nehme an, wenn so viele grundverschiedene Menschen an einem Punkt zusammenkommen, kann man am Ende höchstwahrscheinlich immer genug Musiker für eine Band zusammentrommeln.
Der Saal war bereits überfüllt mit Fliegern und englischen Mädchen, größtenteils aus Harkside. Die Tanzfläche war gut besetzt und an der Theke stand eine lachende, trinkende Gruppe. Andere saßen rauchend und plaudernd an den klapprigen Tischen. Ich hatte erwartet, dass die große Wellblechbaracke kalt sei, doch stand in der Ecke ein seltsam aussehender, gedrungener Apparat, der Hitze ausstrahlte. Später erfuhr ich, dass es sich dabei um einen »dickbäuchigen Ofen« handelte (eine sehr zutreffende Bezeichnung, dachte ich). Offenbar hatte die Luftwaffe ihn aus Amerika importiert, da der englische Winter dem Vernehmen nach kalt und nass sein sollte, und der Sommer ebenfalls.
Doch an jenem Abend wäre er kaum gebraucht worden, da die Enge der Körper und die Bewegung des Tanzens ausreichend Hitze erzeugte. Die Männer hatten die Wände schon mit Fotos aus Zeitschriften geschmückt: Aufnahmen von weitläufigen Berglandschaften mit schneebedeckten Gipfeln, ausgedehnte Ebenen und Weizenfelder, riesige krumme Kakteen in der Wüste und Straßenaufnahmen, die wie Szenenbilder aus Hollywoodfilmen wirkten. Bruchstücke von Amerika hatten sie sich mitgebracht, damit sie sich nicht so fern der Heimat fühlten. In einer Ecke stand ein Weihnachtsbaum, der mit Lametta und einer Lichterkette behängt war, und unter der Decke hingen Papierschlangen.
»Darf ich Ihnen die Mäntel abnehmen, die Damen?«
»Oh, danke sehr«, antwortete Gloria.
Natürlich war es Gloria gewesen, nach der sich alle umgedreht hatten. Selbst wenn sie mit Dorothy Lamour und Marlene Dietrich konkurrieren musste, war sie allen haushoch überlegen.
Wir reichten dem jungen Flieger unsere Mäntel. Es war ein großer, dünner, dunkelhäutiger Mann. Er hatte einen schleppenden Akzent und bewegte sich mit behänder ruhiger Anmut. Er besaß braune Augen, kurzes schwarzes Haar und die weißesten Zähne, die ich je gesehen hatte.
»Hier entlang!« Er führte uns zur gegenüberliegenden Seite neben die Theke, wo alle Mäntel hingen. »Hier sind sie sicher, damit sich die Damen keine Sorgen machen müssen.« Als er uns den Rücken zuwandte, sah Gloria mich mit anerkennend hochgezogenen Augenbrauen an.
Wir folgten ihm, die Handtaschen über dem Arm. Es war immer unangenehm, dass man nicht wusste, was man beim Tanzen mit der Handtasche machen sollte. Normalerweise ließen wir sie unter dem Tisch stehen, aber Cynthias war bei einem Tanzabend in Harkside einmal gestohlen worden.
»Und jetzt, Ma'am«, sagte er und wandte sich direkt an Gloria, »geben Sie mir bitte die Ehre des ersten Tanzes?«
Gloria neigte den Kopf kaum merklich, reichte ihre Tasche an mich weiter, ergriff seine Hand und verschwand. Es dauerte nicht lange, bis sich jemand Cynthia schnappte, so dass ich drei Handtaschen hielt. Aber wenn ich das sagen darf, ein ganz hübscher junger Navigator aus Hackensack, New Jersey, namens Bernard - was er auf der letzten Silbe betonte - bat mich um einen Tanz, noch bevor sein Freund Alice fragte. Also reichte ich die drei Handtaschen an sie weiter und ließ sie dumm glotzend dastehen, wie
Weitere Kostenlose Bücher