Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
fest.
»Sieht so aus. Wohlgemerkt, sie kann behaupten, sie hätte Wäsche aufgehängt. Im Garten hängt dieselbe Wäscheleine. Hab ich gesehen.«
»Aber das Blut?«
»Das ist schon schwieriger«, sagte Stefan. »Viel war es nicht, aber es beweist, dass sie unten gewesen ist.«
»Danke, Stefan. Das ist eine große Hilfe. Was ist mit Terence Payne?«
»Das Gleiche. Blut und gelbe Fasern. Dazu relativ viel Blut von Dennis Morrisey.«
»Was ist mit den Leichen?«
»Wir haben noch eine gefunden, ein Skelett, draußen im Garten. Macht insgesamt fünf.«
»Ein Skelett? Wie lange dauert so was?«
»Hängt von Temperatur und Insektenaktivität ab«, erklärte Stefan.
»Reicht ein Monat?«
»Kann sein, unter den richtigen Bedingungen. Es war aber nicht besonders warm im letzten Monat.«
»Aber möglich ist es?«
»Das schon.«
Leanne Wray war am 31. März verschwunden, vor etwas mehr als einem Monat, es bestand also zumindest die Möglichkeit, dass es sich um ihre sterblichen Überreste handelte.
»Allerdings ist der Garten noch lange nicht komplett umgegraben«, fuhr Stefan fort. »Wir gehen ganz langsam und vorsichtig vor, damit wir keine Knochen beschädigen. Ich habe einen Botaniker und einen Entomologen von der Universität bestellt, die sich morgen den Tatort ansehen. Sie müssten uns bei der Bestimmung des Todeszeitpunkts helfen können.«
»Waren die Opfer bekleidet?«
»Nein. Keinerlei persönliche Gegenstände.«
»Kümmern Sie sich um die Identifizierung dieser Leiche, Stefan, und sagen Sie mir sofort Bescheid, wenn Sie etwas rausbekommen, auch wenn es negativ ist.«
»Mach ich.«
Banks verabschiedete sich und legte auf, dann stellte er sich ans geöffnete Fenster und rauchte eine heimliche Zigarette. Es war ein heißer, drückender Nachmittag. Die Luft war seltsam aufgeladen. Das deutete auf baldigen Regen hin, vielleicht sogar auf ein Gewitter. Nach Hause eilende Büromenschen schnupperten die Luft und griffen nach ihren Regenschirmen. Ladenbesitzer schlossen die Türen und kurbelten die Markisen zurück. Banks musste wieder an Sandra denken. Oft hatten sie sich vor dem Heimweg auf ein Glas im Queen's Arms getroffen, als Sandra noch im Gemeindezentrum unten an der North Market Street arbeitete. Glückliche Zeiten. Hatte er jedenfalls gedacht. Und jetzt war sie von Sean schwanger.
Banks lauschte der Klaviermusik von Schubert, der heiteren, elegischen Eröffnung der letzten Sonate in b-Moll. Seine Kopfschmerzen ließen ein wenig nach. An eines konnte er sich noch erinnern, was Sandras Schwangerschaften betraf: Sie hatte sie nicht genossen. Die Freuden des nahenden Mutterglücks hatten sie nicht innerlich zum Leuchten gebracht. Sie hatte stark unter morgendlicher Übelkeit gelitten und weiter geraucht und getrunken, auch wenn es so wenig war, dass sie durchaus hätte aufhören können. Aber damals machte keiner ein großes Bohei darum. Sie besuchte weiterhin Ausstellungen und Theaterstücke, traf sich mit Freundinnen und beschwerte sich, als ihr Zustand das immer schwieriger und schließlich unmöglich machte.
Bei Tracy war sie im siebten Monat auf dem Eis ausgerutscht, hatte sich ein Bein gebrochen und den Rest der Schwangerschaft einen Gips getragen. Das hatte sie fast wahnsinnig gemacht, weil sie nicht mehr aufstehen und mit dem Fotoapparat herumlaufen konnte, wie sie es so gerne tat. Stattdessen hockte sie in der winzigen Bude in Kennington und musste zusehen, wie ein grauer Wintertag in den nächsten überging, während Banks rund um die Uhr arbeitete und selten zu Hause war. Tja, vielleicht war Sean öfter bei ihr. Wer weiß, wenn Banks vielleicht weniger ...
Aber er kam nicht dazu, sich in dem Kreis der Hölle zu quälen, der nachlässigen Ehemännern und Vätern vorbehalten war. Annie Cabbot klopfte an, steckte den Kopf herein und befreite ihn von den Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen, die momentan sein Schicksal waren, auch wenn er sich noch so viel Mühe gab, alles richtig zu machen.
»Du hast doch sechs Uhr gesagt, oder?«
»Doch. Entschuldige, Annie. Ich war meilenweit weg.« Banks griff zu seiner Jacke, klopfte die Taschen nach Portemonnaie und Zigaretten ab und warf noch einen letzten Blick auf den Berg unberührter Arbeit auf dem Schreibtisch. Zum Teufel damit! Wenn sie wollten, dass er zwei oder drei Jobs gleichzeitig erledigte, dann mussten sie halt auf ihren verdammten
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