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Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt

Titel: Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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Papierkram warten.
     
    Jenny fuhr durch ein Gewitter. Sie schaute hinüber zum hässlichen Wald aus Kränen in den Docks von Goole und fragte sich zum zigsten Mal, was um alles in der Welt sie veranlasst hatte, nach England zurückzukehren. Nach Yorkshire. Familiäre Bindungen sicherlich nicht. Jenny war Einzelkind, und ihre Eltern, pensionierte Akademiker, lebten in Sussex. Beide waren immer in ihre Arbeit vertieft gewesen - er als Historiker, sie als Physikerin -, so dass Jenny in ihrer Kindheit mehr Zeit mit Kinderfrauen und Aupair-Mädchen verbracht hatte als mit ihren Eltern. Der wissenschaftlich unbeteiligte Blick ihrer Eltern hatte Jenny oft das Gefühl gegeben, eher ein Experiment denn eine Tochter zu sein.
      Es machte ihr nichts aus - schließlich kannte sie es nicht anders -, und letztlich entsprach es ihrer Einstellung: Das Leben war ein Experiment. Manchmal schaute sie zurück und fand alles so oberflächlich und egozentrisch, dass sie in Panik geriet; dann wieder kam ihr alles gut vor.
      Im Dezember würde sie vierzig werden. Sie war nach wie vor Single - war nie verheiratet gewesen -, und auch wenn sie nicht mehr fabrikneu und taufrisch war, gehörte sie noch lange nicht zum alten Eisen. Sie sah noch immer gut aus und hatte eine tolle Figur. Allerdings brauchte sie für ihr Äußeres ständig neue Wundermittel und musste im Fitnessraum der Uni inzwischen ganz schön hart trainieren, damit sich ihre Vorliebe für gutes Essen und guten Wein nicht als Polster auf den Hüften bemerkbar machte. Für sie sprachen außerdem ein guter Job, ihr wachsendes Ansehen als Profiler und eine längere Publikationsliste.
      Warum also fühlte sie sich manchmal so leer? Warum hatte sie ständig das Gefühl, sich beeilen zu müssen, ohne je irgendwo anzukommen? Selbst jetzt, als der Regen gegen die Windschutzscheibe peitschte und die Scheibenwischer mit Höchstgeschwindigkeit arbeiteten, fuhr sie knapp neunzig Stundenkilometer. Sie verlangsamte auf achtzig, aber schnell kroch der Tacho wieder hoch und mit ihm das Gefühl, zu spät zu kommen, immer zu spät.
      Der Regen hörte auf. Auf Classic FM erklangen die Enigma Variations von Elgar. Nach Norden hin erschien am Horizont ein Kraftwerk mit seinen gewaltigen, korsettförmigen Kühltürmen. Der aufsteigende Wasserdampf ging in die tief hängenden Wolken über. Nun hatte sie fast das Ende der Autobahn erreicht. Die M 62 Richtung Osten war wie so vieles im Leben: Kurz vor dem Ziel ließ sie einen im Stich.
      Na ja, sagte sich Jenny, sie war nach Yorkshire zurückgekehrt, weil sie die furchtbare Beziehung mit Randy beendet hatte. Die alte Leier. Sie hatte eine hübsche Wohnung in West Hollywood gehabt, zu einem äußerst zuvorkommenden Preis von einer Schriftstellerin gemietet, die so viel Geld verdiente, dass sie sich ein Haus oben im Laurel Canyon leisten konnte. Supermarkt, Restaurants und Clubs auf dem Santa Monica Boulevard hatte sie zu Fuß erreichen können. Sie hatte an der Universität von Los Angeles gelehrt und geforscht, und sie hatte Randy gehabt. Leider besaß Randy die ärgerliche Angewohnheit, hübsche 21-jährige Studentinnen zu vögeln.
      Nach einem Nervenzusammenbruch hatte Jenny die Sache abgeblasen und war mit fliegenden Fahnen nach Eastvale zurückgekehrt. Vielleicht war sie deshalb unablässig in Eile, dachte sie - weil sie verzweifelt nach Hause wollte, wo auch immer das war, weil sie verzweifelt von einer schlechten Beziehung in die nächste floh. Nun ja, das war wenigstens ein Erklärungsversuch. Und dann war natürlich Alan in Eastvale. Wenn er einer der Gründe war, ins Ausland zu gehen, konnte er dann auch einer der Gründe sein, zurückzukommen? Sie wollte nicht darüber nachdenken.
      Aus der M 62 wurde die A 63, und bald erhaschte Jenny zu ihrer Rechten einen Blick auf die Humber Bridge, die sich majestätisch über die breite Mündung in den Nebel und die Moore von Lincolnshire und Little Holland spannte. Plötzlich riss die Wolkendecke auf, die Sonne brach durch, und die »Nimrod«-Variation erreichte ihren aufwühlenden Höhepunkt. Yorkshire wie im Bilderbuch. Jenny erinnerte sich an die Augenblicke, wenn L. A. ausgesehen hatte wie im Bilderbuch. Am Anfang hatte Randy sie bei den Fahrten durch die gewaltige, ausgedehnte Stadt immer darauf hingewiesen: Palmen vor einem blutroten Himmel, ein großer, heller Vollmond über dem HOLLYWOOD-Schild.
      Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit fuhr Jenny in eine Parkbucht und

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