Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
erschien ihr die Lektüre äußerst kompliziert, aber dann entsann sie sich, dass Rimbaud mit fünfzehn zu schreiben begonnen und mit neunzehn aufgehört hatte.
»Was ist mit Freundinnen?«, fragte Annie.
»Davon war nie die Rede«, erwiderte Robin.
»Vielleicht war es ihm peinlich?«, versuchte es Annie.
»Das hätten wir bestimmt gewusst.«
Annie änderte ihre Taktik und machte sich eine Notiz, Lukes Liebesleben später genauer unter die Lupe zu nehmen. »Ich weiß nicht, wie ich das diplomatischer ausdrücken könnte«, sagte sie, »aber ich habe gehört, dass Sie nicht Lukes leiblicher Vater sind, Mr. Armitage?«
»Das stimmt. Er ist mein Stiefsohn. Aber ich habe ihn stets wie mein eigenes Kind behandelt. Robin und ich sind jetzt zehn Jahre verheiratet. Luke trägt unseren Nachnamen.«
»Erzählen Sie mir etwas über Lukes Vater, Mrs. Armitage !«
Robin warf ihrem Mann einen kurzen Blick zu.
»Kein Problem, Liebling«, sagte Martin Armitage. »Es stört mich nicht, wenn du von ihm redest. Weiß zwar nicht, wozu das gut sein soll, aber bitte.«
Robin wandte sich an Annie. »Eigentlich wundert es mich, dass Sie das nicht wissen. Die Klatschpresse hat die Geschichte damals doch so breitgetreten. Neil Byrd ist der Vater. Ich dachte, die meisten wüssten über Neil und mich Bescheid.«
»Oh, Entschuldigung, ich weiß, wer der Vater ist und was damals passiert ist. Ich kann mich bloß nicht an die Einzelheiten erinnern. Er war Popsänger, nicht wahr?«
»Popsänger? Er wäre entrüstet gewesen, wenn er das gehört hätte. Er selbst hielt sich eher für einen modernen Troubadour, am ehesten für einen Dichter.«
Erst ein Sänger, dann ein Fußballer, dachte Annie. So wie Marilyn Monroe erst mit einem Baseballspieler und dann mit einem Bühnenautor verheiratet gewesen war. Robin Armitage war wohl tiefgründiger, als Annie auf Anhieb vermutet hätte. »Entschuldigen Sie bitte mein Unwissen und helfen Sie mir auf die Sprünge«, bat Annie.
Robin schaute aus dem Fenster auf den Rasen, wo eine dicke Drossel gerade einen Wurm gefunden hatte, dann setzte sie sich neben ihren Mann. Er nahm ihre Hand. »Sie finden wahrscheinlich, dass wir ein sonderbares Pärchen waren«, sagte sie. »Aber Neil war der erste Mann, der mich wegen meines Aussehens nicht wie den letzten Dummkopf behandelt hat. Es ist schwer, wenn man ... nun ja, wenn man so aussieht wie ich damals. Die meisten Männer hatten entweder zu viel Angst, um mich anzusprechen, oder sie glaubten, ich wäre leicht zu haben. Neil war da anders.«
»Wie lange waren Sie zusammen?«
»Ungefähr fünf Jahre. Luke war erst zwei, als Neil uns sitzen ließ. Einfach so. Ohne Vorwarnung. Er meinte, er bräuchte seine Ruhe und könnte es sich nicht länger leisten, die Last einer Familie zu tragen. Genau so hat er sich ausgedrückt: Last.«
»Das tut mir Leid«, sagte Annie. »Und dann? Was war mit Ihrem Beruf?«
»Als wir uns kennen lernten, war ich fünfundzwanzig, da hab ich schon seit meinem vierzehnten Lebensjahr gemodelt. Nach Lukes Geburt hatte ich natürlich Schwierigkeiten, meine alte Figur wiederzuerlangen, so ganz hab ich's auch nicht geschafft, aber ich bekomme immer noch Aufträge, meistens für Fernsehwerbungen oder kleine Nebenrollen in der fünfzehnten Folge von irgendeinem Splatterfilm oder in der einen oder anderen Fernsehserie. Aber warum wollen Sie das alles wissen? Das kann doch nichts mit Lukes Verschwinden zu tun haben. Neil ist seit zwölf Jahren tot.«
»Meine Frau hat Recht«, sagte Martin. »Wie ich eben schon sagte: Ich verstehe nicht, inwiefern das relevant sein soll.«
»Ich brauche einfach so viel Hintergrundinformation wie möglich«, erklärte Annie. »Man weiß nie, was bei Vermissten wichtig ist, was dahintersteckt. Weiß Luke, wer sein Vater war?«
»Ja, sicher. Er kann sich natürlich nicht an Neil erinnern, aber ich habe ihm alles erzählt. Ich finde es wichtig, keine Geheimnisse vor ihm zu haben.«
»Seit wann weiß er es?«
»Ich hab's ihm gesagt, als er zwölf war.«
»Und vorher?«
»Vorher war Martin der einzige Vater, den Luke kannte.«
Also hatte Luke sieben Jahre lang Martin Armitage als Vater akzeptiert, ehe seine Mutter die Bombe mit Neil Byrd platzen ließ, errechnete Annie. »Wie hat er darauf reagiert?«, wollte sie wissen.
»Er war natürlich verwirrt«, sagte Robin. »Er hat viele Fragen gestellt.
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