Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
war der Fish-and-Chips-Imbiss, der jetzt auch chinesische Gerichte zum Mitnehmen anbot, und der Zeitschriftenladen, der, nach den Schildern zu schließen, noch immer den Walkers gehörte. Sie hatten ihn 1966 von Donald Bradford übernommen. Was wohl aus Bradford geworden war? Angeblich hatte ihn Grahams Schicksal erschüttert. Hatte die Polizei ihn im Auge behalten?
Banks wartete, bis er die viel befahrene Straße überqueren konnte. Links neben den Geschäften stand die alte Kugellagerfabrik. Sie sah noch genauso aus wie früher. Banks nahm nicht an, dass sie ein Industriedenkmal war, denn sie war ein echter Schandfleck. Die Tore waren mit Ketten und Vorhängeschlössern gesichert, rundherum war hoher Maschendrahtzaun gezogen mit Stacheldraht als Abschluss. Vor den Fenstern waren rostige Gitter. Trotz dieser Sicherheitsvorkehrungen waren die meisten Glasscheiben zerbrochen, und die Fassade des geschwärzten Backsteingebäudes war voller bunter Graffiti. Banks konnte sich noch an die Zeit erinnern, als man im Werk rund um die Uhr arbeitete, Lkws herumfuhren, Sirenen heulten und die Angestellten in Scharen an der Bushaltestelle warteten. Es waren viele junge Frauen oder Mädchen gewesen, frisch von der Schule - Weibsbilder, hatte seine Mutter immer gesagt. Oft hatte Banks seine Einkäufe zeitlich so gelegt, dass er die Haltestelle erreichte, wenn sich die Fabriktore öffneten, denn er schwärmte für einige der Mädchen.
Insbesondere ein Mädchen hatte es ihm angetan, erinnerte er sich. Sie stand immer an der Bushaltestelle, rauchte und blickte sehnsüchtig in die Ferne. Ein Tuch trug sie wie einen Turban um den Kopf gewickelt. Nicht einmal ihre praktische Arbeitskleidung konnte ihre Kurven verbergen. Sie hatte blasse, glatte Haut und sah ein bisschen aus wie Julie Christie in Geliebter Spinner. Wenn Banks dann so lässig wie möglich an der Haltestelle vorbeischlenderte, foppten ihn die anderen Mädchen mit spöttischen Kommentaren.
»Hey, Mandy«, rief dann eines der Mädchen. »Da kommt dein kleiner Verehrer. Ich glaub, er will was von dir.«
Dann grölten alle vor Lachen, Mandy schimpfte, sie sollten den Mund halten, und Banks wurde rot. Einmal zerzauste ihm Mandy das Haar und schenkte ihm eine Zigarette. Eine Woche lang rauchte er sie, immer nur ein paar Züge. Zum Schluss schmeckte sie, als habe er sie aus dem Rinnstein gefischt, aber er rauchte sie trotzdem zu Ende. Danach lächelte Mandy ihn manchmal an, wenn er vorbeiging. Sie hatte ein hübsches Lächeln. Hin und wieder rutschte eine Haarsträhne unter dem Turban hervor und umschmeichelte ihre Wange, dann wieder hatte sie einen Ölfleck oder Dreck im Gesicht. Sie musste ungefähr achtzehn Jahre sein. Vier Jahre älter. Der Altersunterschied war eigentlich kein Problem, wenn man älter war, aber mit vierzehn Jahren war er unüberbrückbarer als der Grand Canyon.
Eines Tages hatte Banks entdeckt, dass sie einen Verlobungsring trug, und wenige Wochen später stand sie nicht mehr mit den anderen an der Bushaltestelle. Er hatte sie nie wieder gesehen.
Wo Mandy wohl war, fragte sich Banks in der Schlange im Fish-and-Chips-Laden. Sie müsste um die Fünfzig sein, älter als Kay Summerville. Ob sie zugenommen hatte? Ob sie grau geworden war? Vielleicht sah sie alt und verhärmt aus, weil sie nie viel Geld hatte? Ob sie immer noch mit demselben Mann verheiratet war? Oder hatte sie im Lotto gewonnen und war an die Costa del Sol gezogen? Dachte sie noch manchmal an den verliebten Jungen, der seine Besorgungen zeitlich so legte, dass er sie an der Bushaltestelle traf? Banks bezweifelte es. Wie viele Leben wir hinter uns lassen. Wie viele Menschen. Für eine Weile kreuzen sich unsere Pfade, manchmal so flüchtig wie die Wege von Mandy und ihm, dann ziehen wir weiter. Manche Begegnungen brennen sich unauslöschlich ein, andere verschwinden im Nichts. Natürlich hatte Mandy nie an ihn gedacht; er war bloß eine vorübergehende Belustigung gewesen; sie hingegen spielte eine große Rolle in seinen pubertären Sexfantasien. Wenn er an sie dachte, stand sie immer noch mit der Hüfte gegen die Bushaltestelle gelehnt, rauchte und blickte sehnsüchtig in die Ferne, eine Locke auf der blassen Wange. In seiner Erinnerung war sie achtzehn Jahre alt und wunderschön.
»Zweimal Spezial mit Pommes und eine Fischfrikadelle.«
Banks bezahlte und machte sich mit der Tüte auf den Heimweg. Heute wurden Fish and Chips nicht mehr in Zeitungspapier
Weitere Kostenlose Bücher