Inspector Banks kehrt heim
Dales war schon immer die Jahreszeit für Gelegenheitsarbeiten - Torf stechen, Mauern ausbessern, Schafe scheren - und fürs Vergnügen, beispielsweise besuchte man mundartliche Theaterstücke, den Zirkus, die Kirmes und ging zu den Blechbläsern. Selbst als am 3. September der Krieg erklärt wurde, stellten wir schuldbewusst fest, dass wir noch Spaß hatten, uns am Kopf kratzten, von einem Fuß auf den anderen traten und uns fragten, wann denn etwas richtig Schlimmes geschehen würde.
Selbstverständlich hatten wir Gasmasken in Pappkartons, die wir überallhin mitnehmen mussten. Die Straßenbeleuchtung war aus, Autos durften ihre Scheinwerfer nicht einschalten. Das sorgte für zahllose Unfälle auf den nicht eingezäunten Straßen im Tal, meistens mit Beteiligung umherwandernder Schafe.
Auch trafen die ersten evakuierten Kinder aus der Stadt ein. Die meisten waren dumme Gören, verlaust und fürs Landleben schlecht gerüstet. Sie kamen uns wie eine fremde Spezies vor. Offenbar besaßen sie keine warme Kleidung oder Gummistiefel, als ob es in der Stadt keinen Schlamm gäbe. Heute weiß ich, dass die Kinder fern von zu Hause waren, von ihren Eltern getrennt und wahrscheinlich Todesängste ausstanden. Ich schäme mich zuzugeben, dass ich mich damals nicht übermäßig bemühte, ihnen ein herzliches Willkommen zu bereiten.
Teilweise liegt es daran, dass ich immer in meiner eigenen kleinen Welt gelebt habe. Ich war ein Bücherwurm und hatte damals gerade die Geschichten von Thomas Hardy entdeckt. Er schien einen einsamen Jungen vom Land mit seinen Träumen vom Schriftstellerdasein zu verstehen und zu ermutigen. Ich weiß noch, wie er mich mit manchen Geschichten fesselte und ängstigte. Nach Der verdorrte Arm durfte mich eine Woche lang niemand berühren, und nach Barbara im Hause Grebe traute ich mich nicht einzuschlafen, aus Angst, im Kleiderschrank sei eine schrecklich entstellte Statue, die Tür würde sich quietschend öffnen und dann ...
Ich glaube, ich las an jenem heißen Julitag gerade Am grünen Rand der Welt und lief, wie es meine Angewohnheit war, über die Dorfwiese, ohne darauf zu achten, wohin ich trat. Da stieß ich mit Miss Teresa zusammen. Ich weiß noch, dass ich dachte, für so eine alte Dame sei sie erstaunlich robust.
»Pass auf, junger Mann, wo du hintrittst!«, ermahnte sie mich, ihr Ton wurde jedoch versöhnlicher, als ich mich ergebenst entschuldigte. Sie fragte mich, was ich lese, und ich zeigte ihr das Buch. Kurz schloss sie die Augen, dann huschte ein merkwürdiger Ausdruck über ihr runzliges Gesicht.
»Ach, Mr Hardy!«, sagte sie nach einer kurzen Pause. »Ich habe ihn persönlich gekannt, als jungen Mann. Ich komme aus Dorset.«
Meine Begeisterung kannte keine Grenzen. Jemand, der Hardy persönlich gekannt hatte! Ich erklärte ihr, er sei mein Lieblingsautor aller Zeiten, noch besser als Shakespeare, und dass ich auch einmal Schriftsteller werden wolle, genau wie Hardy.
Verständnisvoll lächelte Miss Teresa. »Zügele dich doch«, sagte sie und überlegte. »Vielleicht«, fuhr sie mit einem Seitenblick auf Miss Eunice fort, »hättest du Lust, einmal zu uns zum Tee zu kommen, wenn du dich wirklich so für Mr Hardy interessierst?«
Ich versicherte ihr, hocherfreut zu sein, dann verabredeten wir, dass ich am nächsten Dienstag um vier Uhr zum Rose Cottage kommen würde, die Erlaubnis meiner Mutter natürlich vorausgesetzt.
Jener Besuch am Dienstag bildete den Auftakt zu vielen weiteren. Von innen strafte Rose Cottage seinen Namen Lügen. Es war düster, ganz anders als unser Haus, das immer voller Sonnenlicht und bunter Blumen war. Die Einrichtung war alt, sogar ein wenig schäbig. Ich kann mich an keine Familienfotos erinnern, wie sie bei anderen Menschen das Kaminsims zieren, aber an einer Wand hing ein goldgerahmtes Gemälde von einem jungen Mädchen, das allein auf dem Feld arbeitete. Wenn es im Haus manchmal etwas muffig und modrig roch, entschädigte mich der Duft von Miss Teresas selbstgebackenen Scones.
»Mr Hardy war ein Mensch voller Widersprüche«, erzählte Miss Teresa mir einmal. »Er war ein Träumer, natürlich, und am glücklichsten, wenn er allein mit seinen Gedanken durch die Gegend wandern konnte. Aber er war auch ein guter Musiker. Zu vielen gesellschaftlichen Anlässen, beispielsweise bei Tanzabenden oder Hochzeiten, spielte er Geige, und oft war er viel geselliger und lustiger, als viele seiner Kritiker sich
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