Inspector Banks kehrt heim
ich überhaupt nicht verstehe«, warf ich ein, »ist das Motiv. Ich weiß, dass Smith Ed um seine gesamten Ersparnisse gebracht hat, aber was hat er Ihnen denn getan, Karen?«
»Nicht mir, sondern meinem Vater«, sagte sie leise. »Vernon Connant. Sein Name steht auf Ihrer Liste. Lee heiße ich erst seit meiner Heirat. Smith hatte ihm alles bis auf den letzten Penny abgeschwatzt. Als die Sache aufflog, tötete mein Dad zuerst meine Mutter und dann sich selbst. Mit einem Gewehr. Damals war ich fünf Jahre alt. Kurz bevor mein Vater sich das Gewehr in den Mund steckte und abdrückte, sah er mich an. Er wollte mich auch erschießen, konnte es aber im letzten Augenblick nicht. Diesen Blick werde ich nie vergessen. Ich versuche es schon mein ganzes Leben lang, eine Therapie nach der anderen, Tabletten und so weiter. Sie können mir nicht einreden, dass Sherman Smith seinen Tod nicht verdient hat.«
Ich trank einen großen Schluck Bourbon und ließ das Feuer in meinem Mund brennen, ehe ich ihn hinunterschluckte. »Und Sie, Ginny? Sie standen auch nicht auf der Liste.«
»Aber mein Mann, Harvey Pellier. Ich habe meinen Mädchennamen wieder angenommen.«
»Was war denn?«
Ginny stieß ein schroffes Lachen aus. »Meine Geschichte ist nicht so dramatisch wie die von Karen. Harvey verlor alles, was er hatte, danach war er ein gebrochener Mann. Er verließ seine Familie. Haute ab und kam nie wieder. Wir hatten nie viel Geld gehabt, aber wir waren glücklich gewesen. Als Harvey fort war, brach die Familie auseinander. Ich konnte sie nicht zusammenhalten. Die Kinder kamen in der Schule nicht mehr zurecht, trieben sich mit den falschen Leuten herum. Sie wissen ja, wie so was geht. Sie fingen an mit Drogen, lebten auf der Straße. Will ist an einer Überdosis gestorben. Jane lebt immer noch irgendwo auf der Straße, aber ich habe seit Jahren nichts mehr von ihr gehört.«
Nach längerem Schweigen fuhr sich Ed mit den Händen durchs Haar und sagte, er hätte nichts gegen etwas zu trinken einzuwenden. Karen reichte ihm einen Scotch auf Eis. Dann begann er zu erzählen: »Vor rund vier Jahren habe ich Smith wiedergetroffen. Reiner Zufall. Schicksal. Ich konnte es nicht glauben. Sicher, wenn man drüber nachdenkt, weiß man nie, wer hier von wem mietet. Jedenfalls sah ich ihn hier nach mehr als fünfzehn Jahren wieder, und wissen Sie was?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Er hat mich nicht erkannt. Ich meine, es wäre schon besser, wenn man sich die Leute merkt, deren Leben man zerstört hat, oder? Seinetwegen hatte ich einen Nervenzusammenbruch, wurde alkoholabhängig, verlor eine Stelle nach der anderen. Es ging immer weiter bergab.« Er schlug sich mit der Faust auf die Brust. »Mir ging wieder alles durch den Kopf, was er mir angetan hatte, und ich merkte, dass ich ihn immer noch hasste. Nur war ich jetzt im Vorteil. Aber ich konnte ihn nicht töten. Nicht allein.« Er warf Karen und Ginny einen Blick zu. »Als das damals geschah, vor zwanzig Jahren, waren wir ständig beim Anwalt, und so lernte ich Karens Vater und Ginnys Mann kennen. Smith hatte Karen und Ginny noch nie gesehen. Ich setzte mich also mit ihnen in Verbindung, schilderte ihnen die Lage, und wir schmiedeten einen Plan. Wir freundeten uns mit ihm an, nacheinander, taten so, als würden wir uns nicht kennen, und dann brachten wir ihn um.«
Ed schwieg, und die Frauen sahen mich an. Es war schwer vorstellbar, welches Leid Sherman Smith über das Leben dieser drei Menschen gebracht hatte, und es fiel mir schwer, kein Mitleid mit ihnen zu empfinden, aber durfte ich mir ein Urteil erlauben?
»Jetzt liegt es an Ihnen, Jack«, sagte Karen, die mein Dilemma offenbar spürte. »Nun kennen Sie die ganze Geschichte. Wir sind des vorsätzlichen Mordes schuldig.« Sie schaute Ed an. »Wenn Sie meine ehrliche Meinung wissen wollen: Ich glaube nicht, dass es uns geholfen hat. Unser Leben ist jetzt nicht einfacher zu ertragen, wahrscheinlich eher das Gegenteil, aber es ist nun mal geschehen, und Sie sind der Einzige, der es weiß. Wir können Sie nicht umbringen, aber wir werden uns auch nicht freiwillig stellen. Es ist Ihre Entscheidung.«
Ob es mir gefiel oder nicht: Jetzt war ich an der Reihe. Ich trank meinen Bourbon aus, nickte den dreien zu und ging zurück in mein Apartment.
Fast auf den Tag genau ein Jahr später saß ich wieder zur Happy Hour im Chloe's. An der Theke hockten ein, zwei Leute, die ich kannte, doch die
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