Inspector Barnaby 01 Die Rätsel von Badgers Drift 02 Requiem für einen Mörder
vielleicht bedroht fühlen, wenn er von zahllosen Reihen voller fremder Menschen umgeben war. Sie schlug ein Programmheft auf und wurde sich schmerzlich des unbedeutenden Platzes bewußt, an dem ihr Name auftauchte, und wie dagegen Harolds Name nicht noch fetter hätte gedruckt werden können. Es sei denn, man hätte die Buchstaben blutrot gefärbt.
Sie sah auf ihre Uhr. Wo zum Teufel konnte er bloß stecken? Sie hatte doch für Viertel vor acht ein Taxi bestellt, und die Fahrt dauerte bloß ein paar Minuten. Dann sah sie ein Taxi vor dem Eingang halten und eilte in die kalte Abendluft hinaus. Mr. Tibbs Gesicht hellte sich auf.
»Hallo, Daddy«, rief sie erleichtert. »Ich hatte solche Angst...« Sie unterbrach sich und holte tief Luft. Ihr Vater war mit einem kurzärmeligen Sommerhemd und einer beigefarbenen Baumwollhose bekleidet, und ein Leinenjackett hing über seinem Arm. Als sie ihn zu Hause zurückgelassen hatte, trug er noch einen dicken Tweedanzug mit einem warmen Schal und hatte fünf Pfund in der Tasche. Wenigstens hat er sich daran erinnert, das Geld mitzunehmen, dachte Dierdre, denn sie bemerkte, wie er die Banknote herauszog. Als der Fahrer das Fenster hochkurbelte, pochte Dierdre dagegen und sagte: »Haben Sie denn kein Wechselgeld?«
»Tun Sie mir einen Gefallen«, bat der Mann, »ich durfte zehn Minuten rumsitzen, bis der Mensch seine Klamotten gewechselt hatte.«
Dierdre nahm den Arm ihres Vaters, der eiskalt und ein wenig feucht war, und führte ihn durch das inzwischen fast menschenleere Foyer zu seinem Sitz in Reihe P.
Glücklicherweise war es im Zuschauerraum warm, und sie konnte sich darauf verlassen, daß er in der Pause etwas zu trinken bekommen würde. Sie verließ ihn, und er saß sehr aufrecht da und starrte mit fieberhafter Intensität auf die dunkelroten Vorhänge.
Im Foyer nickte Barnaby Ernest zu, lief "hinter seiner Tochter her zu den Kulissen und zwängte sich an Harold vorbei, der gerade huldvoll einem schwergewichtigen Pärchen in voller Abendgarderobe behilflich war.
Die Damengarderobe wurde nur von vier Personen benutzt, und da die Schauspielerin, die Katharina Cavalieri spielte, auch zum Bühnenpersonal gehörte, hielten sich jetzt nur drei Menschen dort auf. Joyce Barnaby in einem puritanisch grauen Kleid und schneeweißem Fichu puderte sich gerade die Nase. Kitty hampelte und zappelte derweil auf ihrem Stuhl herum, klapperte mit ihren Fläschchen und Flakons und murmelte ihren Eingangstext mit solch einer Demut, als würde sie den Rosenkranz beten. Rosa saß dagegen einigermaßen gelassen auf einem Sessel dicht neben dem elektrischen Heizgerät. Ihre Kleidung und ihre Schminke ignorierten völlig die Erfordernisse ihrer Rolle. Ihr Gesicht wirkte keineswegs schlicht und streng, sondern so prächtig wie eine Orchidee, und hätte durchaus das einer poule de luxe zur Jahrhundertwende sein können. Die Augenlider schimmerten wie das Innere einer Muschel, und ihre vollen Lippen leuchteten. Sie trug einen breiten Hut, von dem Kirschen hingen, die auf ihre rosige Wange herabfielen. Perfekt gesprenkelte rote Ovale, die Eier eines Phantasievogels hätten sein können. Außerdem gab es zwei wunderbare Blumensträuße von Harold für seine Hauptdarstellerinnen. Und Joyce (kleine Rollen/Garderobe) hatte von ihrem Mann ein Bund Immergrün und Nieswurz bekommen, das mit einem Samtband zusammengehalten wurde.
Die Tür öffnete sich. Cully steckte kurz den Kopf herein, wünschte: »Hals- und Beinbruch«, und verschwand dann wieder. Barnaby erschien als nächster. »Viel Glück euch allen.« Joyce schlüpfte in den Gang hinaus und umarmte ihn. Er küßte sie auf die Wange. »Viel Glück, Wiener Bürgerin, Bäckerin und Geräuschkulisse.«
»Ich habe ganz vergessen, wo ihr sitzt.«
»In Reihe C in der Mitte.«
»Dann weiß ich ja, wohin ich auf keinen Fall schauen darf. Benimmt sich Cully?«
»Es geht.«
Barnaby fand die Herrengarderobe in heller Aufregung. Nur Esslyn, der die Erinnerung an die vergangenen Premieren wie einen unsichtbaren Orden trug, blieb ruhig. Andere Darsteller lachten unsicher, schlichen umher, rangen die Hände oder (im Falle Orsini-Rosenberg) taten alles auf einmal. Colin rief: »Die Ersten: Akt Eins« und drückte den Summer. Kaiser Joseph schrie: »Die Glocken! Die Glocken!« und brach in schrilles, manisches Gelächter aus. Barnaby murmelte »Alles Gute« und stieß mit Harold zusammen, der dann in die
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