Inspector Jury besucht alte Damen
entsetzlich spießig, darum fügte er noch hinzu: «Mit meiner Tante.» Er lächelte und sagte dann: «Soviel ich weiß, ging Simon Lean gern dorthin.»
Wenn er sie hatte hereinlegen wollen, er hätte sich den Atem fürs Suppepusten sparen können. «Ja. Noch mehr Sherry?» Sie hob die Flasche und musterte sein Glas. «Sie haben ja kaum an Ihrem genippt.» Sie seufzte. «So ein Reinfall. Ich kriege Sie nicht betrunken.» Dann ließ sie ihren Lackpumps an den Zehen baumeln und sagte: «Gibt es eine Frau, die das schafft?» Sie legte den Kopf schief, als nehme sie Maß, schüttelte ihn und setzte hinzu: «In Wirklichkeit wollen Sie wissen, ob wir zusammen zu Jean-Michael gegangen sind. Ja.»
«Sie sind sehr geradeheraus. Aber der Mord an Simon Lean scheint bei Ihnen keine besonderen Gemütsaufwallungen hervorzurufen.»
«Müssen wir darüber reden? Das alles ist so trübselig.» Diane angelte nach dem Schuh, schlug die Beine übereinander und setzte dem Krug noch einen Schuß Gin zu. «Ihre Bissigkeit ist ja zum Sterben langweilig.»
Melrose lächelte. «Ich bin nur etwas erstaunt, wie wenig Sie sich das zu Herzen nehmen, wo doch alle Welt von Ihrem Verhältnis mit Simon weiß.»
«Zerreißt sich alle Welt das Maul? Wie nett.»
«Ein Teil dieser Welt ist die Polizei von Northants.»
«Die ist hiergewesen. Auch Ihr Freund Jury. Also das ist ein Mann, für den man gern mal die Rechnung übernehmen würde.»
«Haben Sie das für Lean getan?»
Sie lachte. «Ein-, zweimal. Simon hatte Geld, aber er hatte auch einen Buchmacher. Er war außergewöhnlich charmant. Aber das mußte er wohl auch, oder? Gutaussehend, gepflegt und klug. Charaktermäßig war er eine taube Nuß. Aber dekorativ.»
«Sie haben klug gesagt; wie klug?»
«Ziemlich. Ein Intrigant, ein Ränkeschmied. Ein Schwerenöter, wie man so schön sagt. Warum sie ihn geheiratet hat? Ach, wie ich schon sagte. Sein betörender Charme. Ein Wunder, daß es nicht andersherum war. Daß er nicht sie umgebracht hat.»
«Hat er über seine Frau gesprochen?»
«Ob er –» Sie verschüttete beinahe ihren Drink, so mußte sie lachen. «Mein Gott, was glauben denn Sie, worüber verheiratete Männer sprechen, wenn sie bei der ‹anderen› sind?»
«Was hat er gesagt? Was hat Sie auf die Idee gebracht, es wäre kein Wunder gewesen, wenn er sie umgebracht hätte?»
Diane war gelangweilt aufgestanden und schlenderte barfuß im Zimmer umher. Sie sprach für alle erdenklichen Rollen im Herrenhaus vor, erzählte von Simon Leans Haß auf Lady Summerston, von seiner Situation auf Watermeadows. Vor der Eisfläche über dem Kaminsims, die wohl einen Spiegel vorstellen sollte, preßte sie die Lippen zusammen und wandte den Kopf hin und her wie eine Schauspielerin, die ihr Make-up und ihre Schokoladenseite überprüft.
Melrose hörte eingehend zu und musterte sie ebenso eingehend. Das Zimmer umgab sie wie eine Kulisse. Denn solange er Diane Demorney kannte, hatte er immer vermutet, daß dieser Hintergrund – ihr kunstvoll arrangiertes Ich, ihr Verstand und sogar ihre kleinen Gedankenblitze – nur Mittel zum Zweck waren: Geld, Männer, Bewunderung. Ganz offensichtlich genoß sie es, beobachtet zu werden, genoß es, wie sie sich in den Augen anderer spiegelte, so als schritte sie eine Spiegelgalerie entlang.
«Dann hat er es also übelgenommen, daß Lady Summerston die Hand auf dem Portemonnaie hatte.»
«Natürlich. Das war auch etwas, was ihn so an Hannah ärgerte; sie war an Geld nicht interessiert und machte nicht mal den Versuch, ihrer Großmutter vor deren Tod etwas herauszuleiern. Sicher, er bekam ein Taschengeld, und ein sehr großzügiges dazu. Als knauserig kann man Lady Summerston wohl kaum bezeichnen. Aber wenn einem das Geld nicht gehört …» Sie hob die Schultern und ließ sich erneut eine Zigarette anzünden, dann blies sie den Rauch als makelloses Band aus. «Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe – ja im Sommerhaus, ehe Sie danach fragen –, wirkte er ziemlich gereizt. Ich glaube, sie wollte die Scheidung einreichen. Oder hatte es schon.»
Melrose runzelte die Stirn. «Wann war das?»
«Vor sechs Wochen vielleicht.» Sie saß jetzt vornübergebeugt, die Ellbogen auf die Knie, das Kinn in die Hand gestützt. Das schwarze, hinten etwas kürzer geschnittene Haar fiel nach vorn und bot einen vollendeten Rahmen für ihr Gesicht. «Ich bin schlechterdings am Verhungern, mein Bester; sind Sie sicher, daß das Tantchen nicht warten kann?»
«Tut mir
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