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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Hannah Lean als Baby, Fotos vom Schulkind, Fotos vom Teenager. Daß er in diesen jüngeren Gesichtern Züge der Frau wiederfand, die er kennengelernt hatte, war nicht verwunderlich. Zwei größere Bilder waren herausgelöst worden. Er klappte das Album zu, stellte es sich hochkant auf die Knie, legte die Hände auf den Rand und stützte sein Kinn darauf.
    Als man an der Tür ein Geräusch hörte, sagte sie: «Dem Himmel sei Dank, da kommt unser Tee. Sie haben ihn nötig, das steht fest.»
    Crick hatte ein Tischtuch mitgebracht, räumte den Tisch ab, damit er es auflegen konnte, und deckte ihn mit der silbernen Teekanne, appetitlichen Sandwiches und Kuchen. «Ausgezeichnet, Crick», sagte sie und nahm sich ein Sandwich mit Brunnenkresse. «Mr. Jury hätte gern die Gästeliste von dem Dinner, das wir –» sie machte eine Armbewegung, daß die gefältelte Seide ihrer Kleidung wogte – «letzten Monat gegeben haben. Oder wann auch immer.»
    «Eher vor sechs Monaten, Mylady. Die Zeit fliegt nur so vorüber.»
    «An mir nicht, soviel steht fest. Wer war da?»
    Crick rasselte Namen herunter, und Jury notierte sie. Adressen? Die könnte er sicherlich dem Buch im Anrichteraum entnehmen. «Mrs. Geeson allerdings ist, wenn ich mich recht entsinne, nach Henley-on-Thames verzogen –»
    «Na und? Meinetwegen können sie sich alle zum Mars verziehen; weg mit Schaden. Zum Abendessen hätte ich gern Dickmilch, Crick. Mit Vanille.»
    «Sehr wohl.» Crick verbeugte sich und ging.
    Sie warf einen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, daß er fort war, dann faßte sie in die voluminöse Tasche zu ihren Füßen und zog eine Halbliterflasche Rum heraus. «Hilft dem Tee auf.» Sie goß Jury einen Schluck in die Tasse.
    «Sagen Sie, haben Sie die letzten beiden Tage Ihre Enkeltochter viel zu Gesicht bekommen?»
    Sie runzelte die Stirn. «Ich bekomme sie auch sonst nicht viel zu Gesicht. Gestern haben wir eine Partie Rommé gespielt, und abends hat sie mir meine Tasse Horlick hochgebracht. Warum?»
    Jury blickte auf den braunen Umschlag, der ungeöffnet am Tischbein lehnte. Die Frage bot sich jetzt an: «Ich hätte gern gewußt, ob sie Ihnen sehr verändert vorkam, Lady Summerston.»
    «Verändert? Natürlich war sie verändert! Wenn man bedenkt, daß gerade jemand ihren Mann erdolcht hat – da kann man wohl kaum erwarten, daß sie quietschfidel ist.»
    Er lächelte ein wenig. «War sie doch sonst auch nicht, oder?»
    «Nein.» Beim Stichwort Erdolchen war ihr wohl der Kuchen eingefallen, denn sie stach mit den Zinken der Gabel zu und plazierte das Stück auf ihrem Teller. «Hannah ist in den letzten Jahren außerordentlich still gewesen. Seit sie diesen Menschen geheiratet hat. Viel hat sie ja nie geredet. Aber wem sage ich das. Sie haben sie doch vernommen .» Jury entging die Betonung nicht.
    Und dabei war es so ganz anders gewesen. Sie hatte eine Menge geredet – eigentlich mehr, als er gefragt hatte. Das stimmte ihn nachdenklich. «Wann haben Sie, abgesehen von gestern, das letzte Mal mit ihr Karten gespielt?» Jury nahm sich ein kleines Sandwich, doch er legte es unlustig auf seinen Teller.
    «Wann, wann, wann … Wie ermüdend. Vor einer Woche, möglicherweise zwei. Crick dürfte das wissen.»
    Crick war anscheinend das Familiengedächtnis, das Hausarchiv. Crick mit seinem unerschöpflichen Erinnerungsvermögen und der akribischen Genauigkeit gehörte zum Stamme der Wiggins. Jury hätte die beiden gern zusammen erlebt: wer von beiden konnte wohl schneller reden und Notizen machen? Ihm fiel ein, daß sein Sergeant schon bald mit Tommy Diver auftauchen würde.
    «Haben Sie gestern gespielt wie sonst auch?»
    Jetzt hatte sie das Teeservice beiseite geschoben und Platz für ihre Karten gemacht. «Natürlich. Nein.»
    Er sah, wie sie die Karten ansah. «Nein?»
    Eleanor Summerston hob die Schultern. «Sie hat gewonnen. Damit meine ich, Hannah verliert immer. Zunächst habe ich gedacht, sie täte es diesem alten Klappergestell hier zuliebe. Dann habe ich gemerkt, sie kann einfach nicht Karten spielen. Gestern hätte man meinen können, sie hätte Unterricht genommen.»
    Lady Summerston runzelte die Stirn, als Jury ins Wohnzimmer ging. «Sind Sie aber heute langweilig. Ich weiß gar nicht, wie es Ihnen gelingt, überhaupt etwas aus den Leuten herauszuholen.»
    Er stand wieder vor den Zinnsoldaten. «Sie haben gesagt, sie mochte diese Figuren, vor allem die Beduinen.»
    Ein langer Seufzer. «Muß die Polizei immer so von einem Thema

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