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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Stillosigkeit herabsank.
    «Sie meinen MacAllister», sagte Jury und nahm auf dem gleichen unnachgiebigen Stuhl Platz, auf dem er schon einmal gesessen hatte.
    Ihre Faust fiel dröhnend auf eine Briefmarke nieder, dann klappte sie das Album zu. Natürlich hatte sie ihre Brille vorn in einem Kleidungsstück vergraben, das wie ein Sari aus leuchtendem Türkis aussah, über den sie eine Steppjacke und denselben schönen Schal wie neulich geworfen hatte.
    «London bekommt Ihnen nicht, Superintendent. Sie sehen blaß aus. Haben Sie schon geluncht?» Obwohl Jury nickte, ging sie trotzdem die Liste möglicher Erfrischungen durch. Sie entschieden sich für Tee. Das gefiel ihr, denn es hieß, daß Crick die Treppe noch einmal mit dem Silberservice erklimmen durfte. Sie posaunte ihre Wünsche in eine altmodische Sprechmuschel und meinte, da der Butler die Bergtour sowieso mache, könne er auch gleich Brot mit Butter bringen, sehr dünn gestrichen, dazu noch Zitronenkuchen.
    «Sie auch, Lady Summerston. Ich meine, Sie sehen blaß aus.»
    «Ich bin sehr durcheinander, auch wenn ich es gut kaschiere – nicht wahr? –, und schuld daran ist Ihr MacAllister.»
    «Nicht mein MacAllister, Lady Summerston.» Jury lächelte.
    «Ich möchte nicht behaupten, daß Sie beide vom gleichen Stamme sind, aber was mich betrifft, so ist Polizei Polizei. Ich mache da keinen Unterschied. Meinetwegen –» sie legte den Kopf schief und lächelte honigsüß – «können Sie alle zur Hölle fahren.» Sie holte die Karten aus dem Elfenbeinkästchen.
    «Bitte verzeihen Sie. Was hat er denn gesagt?»
    «Gesagt? Er hatte die Frechheit, von mir so etwas wie ein Alibi zu fordern.» Das Wort war ihr eindeutig zuwider. Sie nahm einen Schluck Wasser, als müsse sie den schlechten Geschmack wegspülen.
    «Und haben Sie ihm eins gegeben?»
    Jede Hand umklammerte einen Teil des Kartenspiels; erstaunt blickte sie ihn an. «Et tu, Brute?»
    Jury hätte gern gelacht. «Ich bin, wie Sie sagten, auch bloß ein Polizist. Konnten Sie Rechenschaft über Ihre Zeit geben?»
    Sie stach die Karten mit geübten Daumen, schob sie zusammen und teilte sie aufs neue. «Zeit? Zeit bedeutet mir nichts. Die überlasse ich Crick. Sie wissen ganz genau, daß ich meine Räume nicht verlasse, wenn es nicht unbedingt sein muß. Gelegentlich ein Dinner, aber das kommt nur ein-, zweimal im Jahr vor.»
    «Wann war das letzte, Lady Summerston?»
    «Wann? Du liebe Zeit, woher soll ich das wissen? Fragen Sie Crick.»
    «Wer war eingeladen?»
    Ungeduldig sagte sie: «Ach, die üblichen.»
    «Ich weiß nicht so recht, wer die üblichen sind.»
    «Burnett-Hills, Chiddingtons, ein paar andere. Gerrys Freunde; an denen hänge ich vermutlich wie an Gerrys Medaillen.»
    «Crick dürfte natürlich die vollständige Gästeliste haben.» Sie blickte von ihrer Patience auf. «Natürlich. Aber was um Himmels willen soll das Ganze? Glauben Sie etwa, daß sich alle im Sommerhaus versammelt und ihn aufgespießt haben, wie im Orient Express? Wenn Sie mich fragen, eine phantastische Idee.»
    «Ich nehme an, sie kannten Simon Lean. Und Hannah.»
    «Und ob. Wollen Sie alle gerichtlich vorladen lassen?»
    «Nein. Ich glaube nicht, daß das nötig sein wird.» Sie griff sich die Karten, mischte sie und warf sie nun auf den Tisch, wie sie vorher die Briefmarken und die Schnappschüsse ins Album geklatscht hatte – widerspenstige Dinger, denen man eine Lektion erteilen mußte.
    Jury griff nach dem Fotoalbum, das auf einem Roman von Henry James lag, Die goldene Schale. Ein kleines Foto ihres Mannes lehnte an einem Band von Herman Melville. Er fragte sich, ob die Bücher hauptsächlich zum Beschweren und Abstützen dienten. «Mögen Sie ihn?» Er deutete mit dem Kopf auf Die goldene Schale.
    «Ich? Lieber Himmel, nein. Aber das Buch ist ziemlich schwer. Ich nehme es zum Pressen, Briefmarken und so weiter. Lesen Sie ?»
    Jury unterdrückte ein Lächeln und schlug das Fotoalbum auf. «Diesen Roman habe ich gelesen, zweimal.»
    «Sie leiden wohl gern, wie? Hannahs Lieblingsbuch. Erst gestern hat sie es wieder zur Hand genommen.»
    «Tatsächlich?» Er blätterte in dem Album. «Ich habe es zweimal gelesen, weil ich es beim erstenmal nicht verstanden habe. Eigentlich immer noch nicht.»
    «Dann fragen Sie doch Hannah.»
    «O ja, das werde ich auch.» Sein Kopf war immer noch über das Album gebeugt, als er sagte: «Sie haben hier die Zeit eingefangen, Lady Summerston, Jahr für Jahr.» Er blätterte um: Fotos von

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