Inspector Jury besucht alte Damen
ihm an den Kragen wollte, nachdem er sie hatte fallenlassen. Natürlich ich inbegriffen – meint die Polizei.» Sie wandte sich ihm mit einem verhaltenen Lächeln zu und zog den Pullover wieder über die Schulter. Dann blickte sie über den See, zuckte die Achseln und sagte mit trauriger Stimme: «Ich war daran gewöhnt.»
Jury beobachtete ihre langen Finger, wie sie die welkende Blume drehten. «Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich eine Ehefrau daran gewöhnt, betrogen zu werden.»
Sie wandte ihm den bekümmerten Blick zu. «Sie hören sich schon genauso an wie Eleanor. ‹Betrügen› klingt heutzutage doch recht melodramatisch, finden Sie nicht?»
«Nein. Haben Sie gewußt, mit wem er sich treffen wollte?»
«Indirekt ja. Er hat mal einen Brief aus London bekommen. E eins oder E vierzehn. Der Stempel war verwischt. Kein Absender. Hellblaues Papier, leichter Moschusduft. Machen Frauen so was immer noch? Ich meine, ihre Briefe parfümieren? Und abgesehen von der könnte es auch noch jemanden hier aus dem Ort gegeben haben. Ich habe ihn mal in Sidbury in der ‹Glocke› gesehen, wo er mit einer Frau aus dem Dorf zusammensaß. Sie heißt … Demorney oder so ähnlich. Sieht sehr gut aus, alles Haute – na, Sie wissen schon: Couture, Coiffure, London-Lack.» Hannah Lean betrachtete ihre eigene Kostümierung und stellte im Geist wohl Vergleiche an.
«Und dieser Brief? Haben Sie den gelesen?»
«Nein. Das ist schon Monate her.» Sie deutete mit einem Kopfnicken zum Sommerhaus. «Er hat ihn verbrannt. Im Kamin.»
Sie war sich wohl nicht bewußt, daß ihr die Tränen in die Augen gestiegen waren und ihr still über die Wangen liefen. Keine Schluchzer, kein verzerrtes Gesicht, kein Versuch, sie abzuwischen. Jury reichte ihr sein Taschentuch, und sie tupfte sie so teilnahmslos ab, als gehörte das Gesicht einer Fremden.
«Haben Sie ihn wegfahren sehen? Wie kam es, daß sein Auto in der Parkbucht beim Sommerhaus abgestellt war?»
«Ich habe gehört, wie er weggefahren ist. Er hat sein Auto öfter dort abgestellt. Er – er hielt sich gern im Sommerhaus auf. Um etwas Distanz zu schaffen – zwischen uns, nehme ich an.» Der Blick, mit dem sie Jury ansah, war hart. «Mr. Jury, der springende Punkt ist, daß Simon sich nicht allzuviel herausnehmen durfte. Ich habe nämlich das Geld.»
«Sie wollen sagen, er würde seine Position bei Ihnen nicht gern aufs Spiel gesetzt haben.» Das klang nach einer Geschäftsbeziehung, nicht nach Ehe. «Aber warum haben Sie sich nur solch eine Behandlung gefallen lassen, Mrs. Lean?»
Sie lächelte. «Warum? Weil Lumpen so ungemein charmant sind. Ich habe ihn geliebt.» Sie reichte ihm das Taschentuch, einmal, zweimal gefaltet zurück. «Tatsache ist jedoch, daß ich diesmal wirklich genug hatte. Ich wollte mich scheiden lassen. Um das zu verhindern, wäre Simon zu allem fähig gewesen – einfach zu allem.» Aus dem gefaßten, elfenbeinfarbenen Gesicht blickten Jury die Augen einer Tigerin an. «Als ich ihm gesagt habe, daß ich mich scheiden lassen wollte, hätte er mich vor Wut am liebsten umgebracht.»
Durch zwei Rabatten mit schwarzen Tulpen in einem Teppich aus silberweißen, abgestorbenen Nesseln gelangte man zur Tür des Sommerhauses. Jury wandte sich um und blickte zum Haupthaus zurück. Von der Barockvilla war wenig zu sehen – nur der obere Teil, wo Lady Summerston auf dem Balkon gesessen hatte.
Die Polizei von Northants hatte das Häuschen und den Garten ringsum mit weißem Band abgesperrt und einen Wachtmeister auf einem Stuhl vor der Tür postiert. Sergeant Burn war in Uniform, von einschüchterndem Wuchs und hatte ein Gesicht aus Granit. Er quittierte Jurys Gruß, blickte Hannah Lean jedoch argwöhnisch an.
«Ihre Laborleute haben doch sicherlich schon jeden Quadratzentimeter unter die Lupe genommen, Sergeant. Ich würde mich gern etwas umsehen.»
Burn nickte und nahm wieder neben der Tür Platz. Dann zog er eine neue Ausgabe von Private Eye aus seiner Gesäßtasche und griff zu seinem Becher mit Tee.
Das Sommerhaus war klein, fast winzig, gleichsam das Architektenmodell eines größeren Hauses. Am anderen Ende des im Landhausstil möblierten Wohnzimmers führten Terrassentüren auf den See. Zur Rechten konnte Jury durch die angelehnte Tür gerade noch das Ende eines Himmelbetts sehen, das allein schon den ganzen Platz in dem Zimmer zu beanspruchen schien. Die Küche war so beschaffen, daß sich zwei Personen ständig in die Quere kommen mußten.
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