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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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kleine, recht billige Porträtfoto von Sadie in einem tief ausgeschnittenen Kleid und mit hochgestecktem Haar.
    «Sieht ein bißchen anders aus, Sir», sagte Constable Ballinger.
    Tommy stand auf. Eine Welle der Erleichterung durchflutete ihn. Vielleicht ist es gar nicht Sadie.
     
    Auf der gegenüberliegenden Straßenseite war eine Traube Neugieriger zusammengelaufen, die wohl das Polizeiauto begafften und den Transporter mit dem Emblem der Metropolitan Police, aus dem mehrere Männer mit technischem Gerät kletterten. Wahrscheinlich hatten die Passanten gehofft, die BBC würde eine Sondersendung über Limehouse drehen. Abgesehen von dieser Geschäftigkeit wirkte die Straße verlassen und bedrückend mit ihren Speichern, großen Brettertüren und dazwischen kleinen Eigentumswohnungen mit Blick aufs Wasser und aufgerissenes Erdreich. Astronomisch teuer, und doch sahen die Häuser immer noch unbewohnt und ungepflegt aus, so als ob der Geist des alten Limehouse am Ende doch die Oberhand behalten hätte. Die schmiedeeisernen Straßenlaternen wirkten fehl am Platz.
    Sergeant Roy Marsh erteilte der eben angekommenen Mannschaft Befehle, und Constable Ballinger schob Tommy in das Auto.
    Und dann sah Tommy sie, wie sie im Trenchcoat vor ihrem Haus stand. Über der Panik und dem Schock der letzten Stunde hatte er sie ganz vergessen. Als sie auf ihn zukam, die riesige, sackartige Handtasche über die Schulter geschlungen, da durchflutete ihn die gleiche Welle der Erleichterung wie gerade zuvor, als er gedacht hatte, der Sergeant habe alles in den falschen Hals bekommen und nicht Sadie wäre tot, sondern jemand anders.
    Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und blickte an Tommy vorbei Marsh an. «Hallo, Roy.»
    Ihr Anblick schien den Sergeant nicht sehr froh zu stimmen. «Ruby.»
    «Besser, ich komme mit. Besser, ich fahre mit.»
    «Das geht dich nichts an, oder?» Sein verkniffenes Lächeln wurde durch die Narbe nicht freundlicher.
    «Ich glaube doch. Ich glaube, du kannst jede Hilfe brauchen.» Und als bemerkte sie nicht, daß er für einen Augenblick schmerzlich das Gesicht verzog, setzte sie hinzu: «Schließlich mußt du doch die Nachbarn befragen. Warum nicht mich? Warum nicht gleich?»
    Roy Marsh stand neben der offenen Fondtür. «Hast wohl das zweite Gesicht, was, Ruby?» Er bemühte sich vergebens um einen schneidenden Ton.
    «Ich kann hellsehen. Man nehme eine vermißte Frau, ein Polizeiauto und ihren Bruder, den man aus dem Haus führt, zähle zwei und zwei zusammen, und schon kommt man drauf, daß du vielleicht aufs Revier fährst.»
    Ballinger auf dem Vordersitz schaffte es hervorragend, so zu tun, als ob er nichts davon hörte, als ob er nicht sähe, daß eine fremde Frau einfach die Tür zum Rücksitz aufhielt, die der Sergeant hatte schließen wollen, und sich auch noch hineinquetschte.
    Daß Ruby mit starr geradeaus gerichtetem Blick jetzt neben ihm saß und daß dann die Tür zugeknallt wurde, verwunderte auch Tommy.
     
    Das Haar war braun, das Gesicht ohne jedes Make-up, nichtssagend wie Asche, trocken wie Sand. Er hatte den Kopf schütteln wollen – nein, das ist nicht Sadie –, doch ein Erinnerungsfunken, der wie ein Kügelchen in seinem leeren Kopf herumrollte, ließ ihn nicken. Es war ein Bild aus alten Zeiten von Sadies Gesicht, gleich nach einem heftigen Regenschauer, als sie total durchnäßt gewesen war und ihr Gesicht frisch gewaschen und blaß ausgesehen hatte. Aber das war schon Jahre her. Das Bild flammte auf wie ein Streichholz und verlosch wieder.
    Es war zu lange her. Sie sah aus wie Sadie – das weiße, ernste Gesicht wie mit Eis überkrustet. Und dennoch war es das Gesicht einer völlig Fremden, die er nie gekannt und die ihm nie etwas bedeutet hatte.
    Er wandte sich ab. Roy Marsh hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und schien ihn zu drängen, noch einmal hinzuschauen.
    Doch er wollte nicht. «Das ist nicht Sadie.»
    Marsh nickte dem Angestellten des Leichenschauhauses zu, und der ließ das Tuch zurückfallen.
    Tommy machte sich von dem Sergeant los, ging aus der Tür und den Flur entlang zu Ruby, die dort saß und wartete. Er ließ sich auf die Holzbank fallen, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte die Wand an, die so unerbittlich polizeiwachenockergelb getüncht war. Welche Erleichterung, daß Ruby nichts fragte, nichts sagte, bis Roy Marsh herauskam.
    «Wie gut hast du sie gekannt?»
    «Ich weiß nicht, ob ich sie überhaupt gekannt habe. Ich habe eine Frau, auf

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