Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
erzählt …, ach ja, ich bin noch einmal auf einen kleinen Plausch bei ihr gewesen. Ich weiß, Sie haben mich nicht ausdrücklich beauftragt, noch einmal zum Haus von Helen Minton zu gehen …»
    Jury lächelte. Es war sicherlich nicht Wiggins’ letzter Besuch bei Maureen gewesen. «Nein, aber ich bin froh, daß Sie es trotzdem getan haben. Ich glaube, Maureen weiß mehr, als sie uns erzählen wollte.»
    «Das stimmt; sie wußte auch, daß Helen Minton schwanger war. Sie wollte es uns nicht sagen, weil das in ihren Augen einem Vertrauensbruch gleichgekommen wäre. Aber da ich es sowieso herausgefunden hatte, meinte sie wohl, es könnte nicht schaden, wenn sie es bestätigte.»
    «Was weiter?»
    «Parmenger, ihr Onkel, ist damals vor Wut fast geplatzt. Die Sache hat ihn völlig um den Verstand gebracht.»
    Jury schwieg eine Weile. «Aha, da liegt also der Hase im Pfeffer …» Er sprach nicht weiter. Wiggins war mucksmäuschenstill. «Wiggins? Was hat sie Ihnen noch erzählt?»
    Wiggins räusperte sich. «Ich habe versprochen, nichts weiterzusagen …»
    Jury hielt sich den kühlen Hörer einen Moment gegen die Stirn, um nicht loszubrüllen. Dann sagte er ganz ruhig: «Ich arbeite für Scotland Yard. Sie wollen gegenüber Maureen nicht wortbrüchig werden. Aber ich kann eine Vermutung äußern, und Sie sagen mir, ob ich richtig liege. Sie denkt, Frederick Parmenger war der Vater, richtig?»
    «Entschuldigung, Sir. Ja, das ist richtig. Sie ist ziemlich sicher, daß er der Vater war.»
    «Das würde die Reaktion des alten Parmenger erklären. Trotzdem … ob er wohl an all die Ammenmärchen über die schrecklichen Folgen des Inzests zwischen Cousin und Cousine geglaubt hat?»
    «Ich weiß es nicht. Aber wir haben den jungen Parmenger ausfindig gemacht, Sir.»
    Jury zündete sich eine Zigarette an. «Na, Gott sei Dank. Wo ist er? In einer Einsiedlerhöhle?»
    «In einer Abtei. Spinney Abbey heißt sie – sie liegt ganz in der Nähe von dort, wo Sie gerade sind. Ungefähr zehn Meilen von Durham.»
    Jury verbrannte sich fast die Finger an seinem Streichholz. «Spinney Abbey? Und das nächste Dorf heißt Spinneyton?»
    «Stimmt, Sir. Die Abtei gehört einem Mann namens – Sekunde – Charles Seaingham. Er schreibt Bücher oder Artikel …»
    «Ich weiß. Er ist ein bekannter Kritiker. Reden Sie weiter.»
    «Nun, Frederick Parmenger ist anscheinend vor ein paar Wochen dahin gefahren, um zu malen. Dieser Seaingham hat ihm den Auftrag gegeben, seine Frau zu porträtieren.»
    Jury dachte schweigend nach.
    «Sir?»
    «Danke, Wiggins. Sie haben ausgezeichnete Arbeit geleistet.»
    Normalerweise hätte ein Kompliment von Jury Wiggins’ verstopfte Nebenhöhlen augenblicklich freigemacht. Aber im Moment schien er zu sehr von gewissen bösen Vorahnungen erfüllt. «Werden Sie mich dort brauchen, Sir?» Seine Stimme verriet, daß er nicht gerade darauf brannte, seinem Vorgesetzten zu folgen.
    «Ja, sicher.»
    Schweigen. «Es liegt bei Newcastle-upon-Tyne.»
    «Das weiß ich.»
    «Ein Kohlerevier. Kennen Sie den alten Spruch ‹Kohlen nach Newcastle und Eulen nach Athen tragen›?» Wiggins erstickte fast an seinem gekünstelten Lachen. «Mit dem Zug? Sie wissen, wie ich Bahnhöfe verabscheue.» Als Jury immer noch schwieg, fügte er wehmütig hinzu: «Weil ich morgen doch dienstfrei habe, wollte ich eigentlich mit Maureen nach Stevenage fahren, um ihren Bruder zu besuchen.»
    «Okay. Da mir so weihnachtlich ums Herz ist, können Sie den Zug von Stevenage aus nehmen.» Jury ließ Wiggins noch eine Weile über Kohle, Rauch und Ruß jammern und sagte dann: «Schön. Ich erwarte Sie also morgen. Nehmen Sie einen Schnellzug.»
    «Vor denen muß man sich in acht nehmen. Ihr Sog ist so stark, daß er einen vom Bahnsteig auf die Gleise reißen kann.»
    «Dafür haben sie die dicken gelben Linien auf die Bahnsteige gemalt. Hinter denen sind Sie sicher.»

13
    Jury sah den Strand hinunter auf das Margate Hotel, ein langgestrecktes, weißgetünchtes Gebäude, das sich vor einem steilen felsigen Abhang aus dem nassen Sand erhob wie das Skelett eines von der Flut ausgespülten Schiffsrumpfes. Der Wind hatte den Schnee zu hohen Dünen aufgetürmt, die sich gegen die Felswand drückten. Der Strand war menschenleer. Nur hinten, zwischen den Felsen, gingen Arm in Arm ein Mann und eine Frau spazieren, schwarze Schatten vor der versinkenden Sonne.
    Auf der Veranda des Margate standen vereinzelt Schaukelstühle herum und wiegten sich knarrend im Wind

Weitere Kostenlose Bücher