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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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wieder?»
    Aber das Mädchen würdigte das Bild keines Blickes. Ihre Augen wurden schmal. «Sind Sie von der Polizei, oder was?»
    «Ja.» Jury legte seinen Ausweis auf den Tisch, den sie stirnrunzelnd begutachtete.
    «Scotland Yard ?» Was er auf romantischem Gebiet in ihrer Gunst an Boden verloren hatte, machte sein Beruf wieder wett. Die Vorstellung, daß Scotland Yard sich für das Margate Hotel interessierte, zauberte kindliches Erstaunen auf ihr Gesicht. Sie warf einen Blick auf das Bild, schüttelte den Kopf und sah dann noch einmal genauer hin. «Ja, stimmt. Sie war zwei- oder dreimal hier.»
    «Wann zum letztenmal?»
    «Ich erinnere mich nicht genau – vielleicht vor einer Woche.»
    «Wie lange ist sie geblieben?»
    Sie zuckte die Achseln. «Ein paar Tage.»
    «War sie mit irgendwelchen anderen Gästen befreundet?»
    «Komische Frage. Mit wem soll man sich hier schon anfreunden? Aber halt, warten Sie … Sie hat, glaub ich, manchmal mit Miss Dunsany geredet. Aber meistens ist sie nur am Strand auf und ab gelaufen. Ich glaube, sie kam wegen der Seeluft.» Sie beugte sich über das Empfangspult; ihre ansonsten leer blickenden Augen glitzerten scharf wie Glasscherben. «Warum interessiert sich die Polizei für sie?»
    «Haben Sie sie irgendwann einmal mit einem Mann gesehen? Ich meine, kam sie gelegentlich in Männerbegleitung hierher?»
    «Nein, nicht während ich hier war. So was passiert in diesem langweiligen Kasten sowieso nie. Wenn mich ein Mann übers Wochenende in so einen Schuppen bringen würde …»
    Jury unterbrach sie, bevor sie ihre erotischen Phantasien zum besten geben konnte. «Sie kam also allein, blieb auch die meiste Zeit für sich und machte lange Spaziergänge. Fanden Sie das nicht ein wenig seltsam?»
    Sie zuckte die Achseln. «Ich kapier sowieso nicht, warum jemand, der noch so jung ist – ich meine jung im Vergleich zu denen da» – sie gestikulierte in Richtung Salon –, «warum so jemand ausgerechnet ins Margate kommt.»
    Sie schraubte ihr Fläschchen Nagellack auf und begann, ihren kleinen Fingernagel blutrot anzumalen. Da von Jury offenbar keine obszönen Enthüllungen über Helen Minton zu erwarten waren, hatte sie jedes Interesse an ihr verloren.
    «Sie sagten, sie habe sich mit einem der Gäste angefreundet.»
    «Ja, mit Miss Dunsany.»
    «Und wo ist Miss Dunsany?»
    «Wahrscheinlich im Salon. Maxine wird jetzt gleich mit dem Kaffee kommen. Nach dem Abendessen halten sie sich alle gern dort auf.»
    In diesem Moment kam ein schlampiges Mädchen in einer Schürze – vermutlich Maxine – mit einem Tablett den Flur herunter. «Heißes Wasser, heißes Wasser», rief sie wie ein orientalischer Straßenhändler. «Die ganze Zeit auf Achse für diese Alten, mir steht’s langsam bis hier, Glo.» Offenbar sprach sie mit der Empfangsdame. Die schien an Maxines Gejammer gewöhnt zu sein, denn sie sah nicht einmal von ihren glänzenden Fingernägeln auf. Sie zuckte lediglich die Achseln, während das Mädchen in den Salon schlurfte.
    «Wären Sie so freundlich, mir Miss Dunsany zu zeigen?» bat Jury.
    Glo machte keine Anstalten, sich zu erheben. «Sie finden sie schon selber. Sie sitzt immer in dem Sessel am Kamin.»
     
    Falls Miss Dunsany es gerne warm hatte, so nützte ihr der Platz am Kamin nicht viel. Der Rost sah aus, als hätte seit einem halben Jahrhundert kein Feuer mehr darauf gebrannt. Die Holzscheite, die Jury zunächst für feuersichere Attrappen hielt, erwiesen sich jedoch als echt.
    Der Raum war mit planlos verteilten Sofas und Sesseln möbliert, deren dunkelbraune Polster teilweise unter zerschlissenen Schonbezügen verschwanden. Im winterlichen Dämmerlicht wirkte das Zimmer noch kälter, als es ohnehin schon war.
    Die alte Dame, die sich vielleicht noch aus ihrer Jugend daran erinnerte, daß Salons von einem prasselnden Feuer erwärmt wurden, saß in einem Ohrensessel am Kamin. Sie trug ein Kleid aus dunkelblauem Crêpe de Chine und einen Schal um ihre Schultern. Als Jury auf sie zutrat, nahm sie gerade ihre Tasse in beide Hände und führte sie vorsichtig zum Mund. Es waren noch zwei weitere Gäste im Raum, eine kleine magere Frau und ein Mann mit vorquellendem Bauch, der schnaufend seine Kanne mit heißem Wasser inspizierte. Keiner sprach.
    «Miss Dunsany», sagte Jury und setzte sich ihr gegenüber in einen klobigen Sessel. «Mein Name ist Richard Jury. Ich bin von Scotland Yard.» Als sie ihn erschrocken ansah, fügte er rasch hinzu: «Und ein Bekannter von Helen

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