Inspector Jury bricht das Eis
Minton.»
Das beruhigte sie nicht. «Helen. Ihr ist etwas zugestoßen, nicht wahr?»
«Leider ja.»
Sie starrte auf den kalten Rost – eine Frau, die an schlechte Nachrichten gewöhnt war. «Hätten Sie gerne eine Tasse Kaffee, Mr. –? Es tut mir schrecklich leid, aber mein Gedächtnis ist nicht mehr so gut wie früher.»
«Jury. Aber nennen Sie mich Richard.»
«Ich heiße Isobel. Was ist denn geschehen?»
«Ein Unfall. Helen ist tot.»
Sie warf einen Blick in den trostlosen Raum, als wollte sie damit sagen, daß dies genau die Art Nachricht sei, die man im Margate erwarten würde. «Das tut mir furchtbar leid. Ich mochte Helen. Ich weiß, daß sie wegen einer Herzschwäche Medikamente nahm. Aber deswegen sind Sie wohl nicht hier?»
«Wir sind noch nicht sicher, was ihren Tod verursacht hat. Ihre Nachbarin sagte, daß Helen Sie kannte.»
Isobel Dunsany starrte wieder in den kalten Kamin. «Wissen Sie, ich habe mich immer gewundert, warum sie ausgerechnet ins Margate kam. Es ist ziemlich scheußlich hier, finden Sie nicht?» Ihr Gesicht war alt und faltig, aber ihr Lächeln war jung geblieben. «Ich glaube, es ist nur die Gewohnheit, die mich hier hält. Es war nicht immer so, wie es heute ist. Natürlich könnte ich mir etwas Besseres leisten.»
Einen Moment lang dachte Jury, daß dies nur eine Ausrede sei, wie sie alte Leute gebrauchten, die einst bessere Tage gesehen hatten und die das ärmliche Leben, das sie nun fristen mußten, verabscheuten – die gräßlichen Möbel, die gleichgültige Bedienung, die leeren Zimmer, die Einsamkeit, die ihnen sagten: Das habt ihr nun aus eurem Leben gemacht; ihr habt’s nicht besser verdient. Aber mit einem Blick auf ihre Kleidung – die Qualität des Crêpe de Chine, die feine Wolle des Schals – und angesichts ihrer Silberbrosche und der Ringe an ihrer Hand wurde ihm klar, daß sie die Wahrheit sagte: Sie hätte sich leicht etwas Besseres leisten können.
Sie spielte mit ihrer leeren Tasse herum. «Ich kenne dieses Hotel seit meiner Jugend. Ich war noch ein Mädchen, als ich mit meinen Eltern zum erstenmal hierherkam. Sie wären überrascht, wie beliebt das Margate damals war. Und wie fröhlich es hier zuging.» Ihre Augen – die von jenem Blau waren, das bei alten Menschen immer so erstaunlich hell aussieht – streiften durch den Raum. «Die Möbel in diesem Raum waren Louis Quinze, burgunderrot und vergoldet … dort drüben stehen noch ein oder zwei Stühle» – Jurys Blick folgte dem ihren zu den verblichenen Stühlen, die zwischen zwei Fenstern an der Wand standen –, «und mitten im Zimmer stand eine große kreisförmige Couch. Dort saß ich oft und träumte davon, daß ein schöner junger Mann kommen und mich zum Tanz auffordern würde. Im hinteren Teil gibt es einen Ballsaal. Jetzt ist er geschlossen. Zu schwer zu beheizen.» Sie zog den Schal enger um ihre Schultern. «Aber wenigstens hier könnten sie ein Feuer anzünden.»
«Das ist nicht weiter schwierig», sagte Jury und zog Streichhölzer aus der Tasche. Das Papier und die Kienspäne fingen Feuer, und kurz darauf begannen die Scheite Funken zu sprühen.
Dieses völlig unerwartete Ereignis riß die beiden anderen Anwesenden aus ihrer Lethargie; sie erhoben sich ächzend und steuerten auf Sessel zu, die näher am Feuer standen. Dann saßen sie ganz still, wie um diesem wundersam warmen Glanz in ihrer kalten Kammer zu huldigen.
Die Wärme im Salon mußte sich bis in die Halle ausgebreitet und die Aufmerksamkeit der Hoteldirektorin erregt haben – falls es Mrs. Krimp war, die in diesem Augenblick zur Tür hereinrauschte, um nachzusehen, was zum Teufel hier los war und welchen ihrer Gäste sie für diesen Bruch der Hausordnung zur Rechenschaft ziehen konnte.
Mrs. Krimps Erscheinung vermittelte in der Tat den Eindruck, als wäre jede künstliche Wärme in ihrem Falle Verschwendung. Über kokaltblauen Hosen leuchtete ein orangefarbener Pullover. Ihr dauergewelltes Haar war rot und züngelte in feurigen kleinen Locken um ihren Kopf. Ihre katzengelben Augen glühten vor Empörung. «Was ist denn hier los! Mr. Bradshaw!» – als wäre er der Brandstifter – «Sie wissen doch, daß wir nach dem Abendessen kein Feuer mehr anzünden. Das lohnt sich nicht. Sie gehen sowieso bald ins Bett. Mrs. Gibbs, ich bin überrascht …» Beim Anblick des Fremden verstummte sie. Es war bestimmt nicht gut fürs Geschäft, wenn sie alte Herrschaften vor einem möglichen neuen Gast herumkommandierte. Bei dem
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