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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Ein ruppiger Hund, dachte Melro se, aber irgendwie liebenswert, vielleicht gerade weil er sich weigert, mit …
    «Falls Sie sich wundern, warum er sich mit uns abgibt – er porträtiert mich gerade», unterbrach ihn eine Stimme. Grace Seaingham war von ihrer Andacht zurückgekehrt. Sie gehörte offenbar zu den Leuten, in deren Gegenwart es gefährlich war zu denken. «Ich kann mir niemanden vorstellen, der im Zusammenhang mit Ihnen von ‹sich abgeben› sprechen würde, Mrs. Seaingham.»
    «Ich bitte Sie, Mr. Plant. Sie sind doch kein Schmeichler.» Sie lachte ebenso glasklar wie sie sprach.
    «Ich weiß. Deswegen habe ich es auch so vorsichtig formuliert.»
    Sie errötete ein wenig. Auf ihrem blassen Gesicht wirkte der plötzliche Anflug von Rot beinahe unnatürlich, so als habe ihr nicht das Blut die Wangen gefärbt, sondern die Christrose, die sie – einer plötzlichen Eingebung folgend – aus dem Adventskranz gepflückt und sich an den Ausschnitt gesteckt hatte – eine Art Dank an Susan Assington für die Blumen und gewiß eine für Grace typische Geste, voller Liebreiz und Anmut. Melrose fand es schwer, bei ihrem Anblick nicht in solch ätherischen Begriffen zu denken. Andererseits aber hatte sie ihn mit der Rose in der Hand sehr an die Feen auf den Bildern des Malers Rackham erinnert, zarte, fast durchsichtige Elfenwesen, die mit zerbrechlichen Flügeln über einem Märchengarten schwebten. «Dieses Porträt würde ich gern einmal sehen. Ist es denn schon fertig?»
    «Ja. Es war Charles’ Idee», fügte sie achselzuckend hinzu, als wollte sie damit ausdrücken, daß ihr selbst solch eitle Hoffart natürlich fremd sei. «Charles hält ihn für ein Genie ersten Ranges. Er malt gewöhnlich keine Porträts. Ich habe keine Ahnung, wie Charles ihn dazu überreden konnte.»
    Das war glatt gelogen. Sie mußte sehr genau wissen, daß Seaingham einfach kein Mann war, dem man so etwas abschlug. Hatte er denn nicht dafür gesorgt, daß MacQuade kein armer unbekannter Schreiberling mehr war? Und Vivian, die Gesellschaften eigentlich nicht mochte – hatte er die nicht auch überredet, hierherzukommen?
    Sie entschuldigte sich, als Susan Assington ihr zuwinkte. Während sie auf ihre anderen Gäste zusteuerte, fragte sich Melrose, ob sie nicht einfach zu gut für diese Welt war.

12
    «Akonit», sagte Cullen. «Die Königin der Gifte. Schon zu Mittag gegessen?» fragte er und reichte Jury den Autopsiebericht über den Tisch wie einen gefüllten Teller.
    Jury hatte Cullen und Trimm in einem kleinen Restaurant in Washington namens «The Geordie Nosh» aufgestöbert. Trimm schaufelte riesige Portionen Fleisch und Gemüse in sich hinein. Die Uhr hatte bereits drei geschlagen, die Lunchzeit war vorbei; sie waren die einzigen Gäste.
    «Danke, ich habe im Zug gegessen.» Eine freundlich aussehende Frau kam an ihren Tisch. Jury bestellte Kaffee.
    «Im Zug? Das ist doch der letzte Fraß dort, Mann. Was gibt’s Neues in London?»
    «Alles beim alten. Erzählen Sie mir mehr.»
    Kauend begann Cullen zu berichten. «Ein mörderisches Zeug. Der Leichenbeschauer meint, daß schon ein fünfzigstel Gramm ausreicht, um einen Mann zu töten. Schon die Griechen haben es auf Pfeile und Speere geschmiert. Haben Sie Ich, Claudius, Kaiser und Gott gesehn? Da ist einer von den alten Ganoven auch so abgemurkst worden …»
    «Ich interessiere mich eigentlich mehr für die Gegenwart», sagte Jury.
    «Benommenheit, Prickeln, Brennen, Herzrasen – das sind die Symptome, sagt der Leichenbeschauer», fuhr Cullen fort. «Mit anderen Worten, sie muß gemerkt haben, daß etwas nicht stimmte, hatte aber keine Zeit mehr, was zu unternehmen – das Zeug wirkt schnell. Die richtige Dosis, und bong , es haut einen um …» Er hieb Trimm mit der Faust auf die Schulter. Der Constable aß unbeirrt weiter. Mit großer Konzentration trug er Berge von Rübenbrei, Schmorbraten und Gemüse ab; die Welt jenseits des Tellerrands schien er vergessen zu haben.
    Jury überflog den Autopsiebericht. «Könnte sie das Zeug aus Versehen geschluckt haben?»
    Cullen schüttelte den Kopf. «Ausgeschlossen. Es kommt nur in den Wurzeln des Eisenkrauts vor. Die sehn in etwa aus wie Steckrüben oder so.»
    Trimm verputzte unverdrossen seinen Brei aus Steck- oder Kohlrüben. «Wird auch Wolfsgift genannt. Die Wölfe graben das Zeug im Winter aus, wenn sie nichts anderes zu fressen haben.» Die Gabel fest in der Faust, säbelte er heftig an seinem Steak herum, das so zart war,

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