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Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Titel: Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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auffällig, dachte Damon Coleman, auch wenn er so etwas nicht einmal im Traum anziehen würde, selbst wenn er Sam hieße und von Skorpionen begeistert wäre. Er bevorzugte Farben, die zu seiner dunklen Haut passten, Farben, die vielleicht nur ein Schwarzer gut tragen konnte: Rot, Orange, Gelb, leuchtendes Grün. Schwarz kam gar nicht in Frage. Doch das waren nur beiläufige Gedanken, während er mit diesem T-Shirt bei den Pickfords, den Hunters, bei Louise Axall und Theodore Borodin die Runde machte. Aber zu seinem großen Erstaunen bestritt jeder von ihnen, dieses T-Shirt zu kennen. Meistens hieß es nur unter Kopfschütteln: »Das ist lange her.« Er hatte nur noch wenig Hoffnung. Nachdem er Grimbles wüste Schimpftiraden ertragen hatte, hätte er bei Bill Runge beinahe aufgegeben. Der Mann war nicht zu Hause; lohnte es sich überhaupt, später noch einmal wiederzukommen? Damon war schon auf dem Weg von der Eingangstür zurück zum Gartentor, da sah er ihn mit einer Einkaufstüte die Straße herunterkommen. Aus der Tüte duftete es verlockend nach paniertem Fisch mit Pommes frites. Auf Damons Frage, ob er ihn kurz sprechen könne, meinte Runge, nur wenn es ihm nichts ausmache, dass er dabei sein Essen verspeise.
    Einladend ruhten Fisch und Pommes auf dem Wachspapier. Damon, der den Appetit eines großen kräftigen Mannes hatte, schaute weg und wünschte sich, er hätte auch seine Nase wegdrehen können. Eines war sicher: Sobald er wieder draußen wäre, würde er sofort das Fischgeschäft an der Ecke ansteuern und sich sein Mittagessen besorgen.
    Das T-Shirt wurde präsentiert, doch statt eines Kopfschüttelns und der Bemerkung, das alles sei lange her, sagte Bill Runge mit vollem Mund, er glaube, er hätte es schon mal gesehen. »Lassen Sie mich kurz nachdenken«, meinte er, wobei er Tomatenketchup über sein Kabeljaufilet schüttete, als wäre es eine unerlässliche Gehirnnahrung beim Graben im Gedächtnis.
    »Im September vor acht Jahren?«, versuchte Damon ihm zu soufflieren.
    »Schon möglich. Während ich diesen Graben für meinen Kumpel Grimble aushob, war ich viel in Flagford, aber damals ist es nicht gewesen. So lange ist das noch nicht her. Und normalerweise habe ich ja keinen Grund, dort hinzufahren.«
    »Waren Sie vielleicht jemals auf diesem Obsthof? Bei Morella’s?«
    »Ganz genau! Ich hab meine Frau zu Morella’s Hofladen gefahren. Für Obst aus den Supermärkten hat sie nichts übrig. Es war Samstag. Muss es ja gewesen sein. Unter der Woche gehe ich nie einkaufen. Und mit den acht Jahren liegen Sie völlig richtig. Genau damals war es. Wir hatten unser Mädel dabei, und die war damals fünfzehn. Komisch, dass ich das noch weiß, aber nur, weil sie damals so heikel war und eine Apfeldiät gemacht hat. Wie Teenager eben so sind. Damals hat sie nur Äpfel und Müsli gegessen. Die Obstpflücker waren draußen. Dieser Typ kam mit dem Traktor an. Damit wurden die Kisten vom Feld geholt und zum Laden gebracht. Er kam mit einer Apfelkiste herein und hatte dieses T-Shirt an. Meine Tochter rief: ›Papa, schau mal, was der anhat. Schau dir das Bild an, das ist ein Skorpion. So was würde ich nie anziehen‹, meinte sie. ›Ist ja krass.‹ Ein junger Kerl – na ja, wenigstens damals. Meine Tochter hatte im Fernsehen eine Sendung über Skorpione gesehen, wissen Sie?«
    »Mr. Runge, Sie sind ein Ass«, rief Damon. »Sie haben Ihren Beruf verfehlt. Sie sollten bei der Polizei arbeiten.«
    Damon war zufrieden – fast. Sollte man nicht trotzdem eine zweite Bestätigung einholen? Er kaufte sich in dem Laden, aus dem Runge eben gekommen war, eine Portion Kabeljau mit Pommes frites und dazu eine Essiggurke und verspeiste alles im Auto. Vielleicht sollte er versuchen, in den Flagforder Geschäften nachzufragen, von denen es nur noch ganze zwei gab. Früher waren es einmal zehn gewesen. Im Gemüseladen, der sich hochtrabend Supermarkt nannte und auch die Postfiliale beherbergte, zeigte er dem Mann an der Briefmarkenausgabe und der Frau an der Kasse das Foto. Keiner erkannte das T-Shirt mit dem Skorpion wieder, obwohl beide auch schon vor acht Jahren denselben Job gehabt hatten. Der andere Laden gehörte zu jener Sorte, bei der sich Passanten regelmäßig fragen, wie so etwas überleben kann. Er verkaufte Schwangerschafts- und Babykleidung, oder besser gesagt, er versuchte es. Eine uralte Frau hinter dem Ladentisch lächelte ihn zwar hoffnungsvoll an, schien aber nicht in der Lage zu sein, seine Frage zu verstehen.

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