Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote
sondern tat dem Auge gut und tröstete die Sinne: Bücher, ein CD-Spieler und kleine Gemälde, die sicher Originale waren.
»Wie ist er gestorben?«
»Das wissen wir nicht. Möglicherweise werden wir es nie wissen.«
»Könnte es sein – ist es möglich – ich meine, steht absolut sicher fest, dass es sich um einen – einen gewaltsamen Tod gehandelt hat? Könnte es auch ein Herzanfall gewesen sein? Könnte er nicht auf diesem Grundstück einfach nur tot zusammengebrochen sein?«
Wexford seufzte. »Selina, Sie ahnen gar nicht, wie gern ich Sie in diesem Glauben lassen würde, aber das kann ich nicht. Man hat seinen Leichnam begraben. Warum hätte man das getan, wenn er eines natürlichen Todes gestorben wäre?«
»Nein, ich verstehe.«
»Es tut Ihnen weh, ich weiß. Etwas anderes wäre für eine Tochter auch höchst unnatürlich. Wenn Sie möchten, kann ich es momentan dabei bewenden lassen und Sie allein lassen, damit Sie es Ihrer Schwester sagen können. Ich kann auch morgen oder übermorgen wiederkommen. Leider muss ich Ihnen nach der Identifikation der Leiche Ihres Vaters noch einige Fragen stellen. Je eher das geschieht, umso schneller werden wir den … werden wir herausfinden, wie Ihr Vater zu Tode gekommen ist.«
»Selbstverständlich müssen Sie mir Fragen stellen. Vivien wird nicht vor siebzehn Uhr hier sein. Wir haben dann noch den ganzen Abend zusammen.«
»Wenn ich darf«, sagte Wexford, »würde ich als Erstes gern das ehemalige Arbeitszimmer Ihres Vaters sehen.«
Sie gingen nach oben. Im Laufe seiner Arbeit hatte er viele solche Häuser gesehen: zwei Zimmer im Erdgeschoss, die man meistens zu einem größeren verbunden hatte, zwei einigermaßen große Schlafzimmer und eine »Abstellkammer«. Solche Doppelhaushälften waren überall in England kurz vor und nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Boden geschossen, bequeme, bescheidene und damals auch bezahlbare Häuser für ein Elternpaar mit zwei Kindern. Hier war die Abstellkammer noch winziger als üblich. Wahrscheinlich sah sie immer noch so aus wie damals, als Diana Hexham hier ihr Zimmer gehabt hatte. Noch immer befand sich hier ihr Einzelbett, dazu ein hoher Wandspiegel und ein kaum dreißig Zentimeter tiefer Kleiderschrank. Für mehr war nicht Platz, außer auf dem Fensterbrett. Dort stand zwischen hölzernen Buchstützen eine Reihe Bücher: eine Taschenbuchausgabe der gesammelten Werke von Jane Austen, Wer die Nachtigall stört , eine Übersetzung von Madame Bovary und die Gedichte von Wilfried Owen.
»Hatte bei Ihrem Vater hier ein Schreibtisch mit einer elektrischen Schreibmaschine gestanden?«, wollte er wissen.
»Außerdem ein Schreibtischstuhl und jede Menge Bücher.«
»Ja. Was ist damit passiert?«
»Mit seinen Büchern? Wir haben alle behalten, auch als Mama hier eingezogen ist. Sie stehen unten.«
Noch einmal sah er sich in dem winzigen Zimmer um, aber hier konnte man keine neuen Erkenntnisse gewinnen. Als sie wieder im Wohnzimmer waren, wo sie schon einmal gesessen hatten, führte sie ihn zu dem links von der Terrassentür eingebauten Bücherregal, das fast die ganze sich daran anschließende Wand ausfüllte.
»Hier, die Bücher in diesem Teil, die standen früher in seinem Arbeitszimmer«, erklärte Selina. »Ach ja, bis auf das Oxford Dictionary und Brewers Lexikon des guten Schreibstils . Die stehen dort drüben bei den anderen Lexika.«
Er las die Titel: Darwins Über die Entstehung der Arten und Die Fahrt mit der Beagle , Roget’s Thesaurus , Ovids Metamorphosen , Griechische Mythologie von Robert von Ranke-Graves, eine Sammlung isländischer Sagen sowie ein halbes Dutzend Bücher von Stephen Jay Gould und Richard Dawkins. Mittlerweile kam es ihm wie ein Hirngespinst vor, er könnte ein Bindeglied zwischen diesen Büchern finden, das ihn auf der Suche nach jener unbekannten Tätigkeit weiterbrächte, mit der sich Alan Hexham damals in diesem winzigen Kämmerchen beschäftigt hatte.
»Hilft das?«, wollte Selina wissen.
»Ich glaube nicht.«
Sein Blick schweifte über die anderen Regale, wo er die Romane verschiedener Autoren entdeckte, die vor einem Dutzend Jahren bekannt gewesen und es zum Teil auch heute noch waren. Darunter auch Owen Tredowns Der Sohn des Nun und Die Königin von Babylon .
»Sie hatten in Ihrem Buch dieses halbe DIN-A4-Blatt erwähnt«, sagte er, »mit einer handschriftlichen Liste Ihres Vaters. Dürfte ich es sehen?«
»Selbstverständlich«, erwiderte sie. Als sie unter dem Bücherregal
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