Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Titel: Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
Vom Netzwerk:
Motive überprüfte. Falls sein Verhalten gegenüber den Dirirs unterschwellig tatsächlich von dieser Einstellung geprägt sein sollte, dann war daran vielleicht ein Vorurteil gegenüber Immigranten aus Somalia schuld, das in der Stadt vorherrschte und auch bei der Polizei durchaus verbreitet war. In Kingsmarkham lebte eine kleine Gruppe von Somalis. Die meisten hielten sich anscheinend brav an die Gesetze, auch wenn es sich von Natur aus um eine verschlossene Menschenrasse zu handeln schien. Sie waren bescheiden, ruhig, gläubig – einige Christen, die meisten Moslems –, fleißig und zurückhaltend. Das Vorurteil nährte sich aus der Tatsache – vielleicht war es auch nur ein Verdacht oder eine unbewiesene Annahme –, dass die Söhne dieser Leute mit Messern bewaffnet herumliefen.
    Als die Dirirs mit ihrem Sohn auf ein Glas zu Besuch gekommen waren, hatte man sich gut verstanden, auch wenn das Gespräch ein wenig steif verlaufen war. Dora hatte extra für ihre Gäste, die eigentlich gelbe Limonade bevorzugten, Granatapfelsaft vorbereitet, ihren neuesten Wellnessdrink. Die Dirirs sprachen gut Englisch und waren weitaus gebildeter als Wexford, wie dieser sich reumütig eingestehen musste. Die ganze Familie war sehr bestrebt, die Situation ihrer Gemeinde zu verbessern. Mrs. Dirir hatte sich zu einer Art Sozialarbeiterin für ihre Mitimmigranten ernannt und engagierte sich für deren Gesundheit, ihre Arbeitsmöglichkeiten, ihre Einkommenssituation und kümmerte sich um das Wohl der Kinder. Ihr Mann arbeitete im örtlichen Sozialamt, der Sohn studierte in Myringham an der University of the South.
    Eines war Wexford aufgefallen: Während er und Dora alle übrigen Bekannten in der Nachbarschaft beim Vornamen nannten, hieß das somalische Ehepaar für sie Herr und Frau Dirir, und umgekehrt war es genauso förmlich. Hannah Goldsmith hätte das als Rassismus der übelsten Sorte eingestuft, der sich betont zu Respekt gegenüber andersfarbigen Menschen zwingt. Ein Respekt, der Verachtung hinter einer fadenscheinigen Maske der Liberalität verbirgt. Das hätte sie gesagt, wenn sie es gewusst hätte. Wexford war ziemlich überzeugt, dass er die Dirirs nicht verachtete. Nein, das nicht. Er fühlte sich eher irgendwie ratlos. Er schaffte es einfach nicht, eine gewisse gemeinsame Basis mit ihnen zu finden. Vielleicht sollte er versuchen, Mr. Dirir bei der nächsten Begegnung mit Omar anzureden und Mrs. Dirir mit Iman. Während er noch darüber nachgrübelte, wie er das würde bewerkstelligen können, trat Mrs. Dirir ohne ersichtlichen Grund – jedenfalls konnte er keinen erkennen – aus ihrer Haustür und rief: »Guten Abend, Mr. Wexford.«
    Jetzt war der richtige Zeitpunkt gekommen. Trotzdem kostete ihn der nächste Satz doch noch ein wenig Mut. »Guten Abend, Iman. Wie geht’s?«
    Sie wirkte etwas verblüfft und erwiderte gedankenverloren: »Gut. Danke, mir geht es gut.« Dann zog sie sich wieder ins Haus zurück. Den restlichen Weg bis zu seinem Haus zerbrach sich Wexford den Kopf, ob er zu voreilig gehandelt und sie vielleicht sogar beleidigt hatte.
    Am anderen Tag erklärte ihm Carina Laxton, bei der Leiche, die man auf dem Grimble’schen Grundstück gefunden hatte, handle es sich um einen Mann. Jedenfalls sei er zu seinen Lebzeiten, so vor zehn bis zwölf Jahren, einer gewesen. Der unbekannte Mörder habe die Leiche vor dem Begraben in ein lila Tuch eingewickelt. Die Todesursache könne sie ihm nicht sagen. Ihre Stirnfalten signalisierten ihm, dass sie es möglicherweise nie herausfinden würde. Neuerdings war es üblich, dass zwei Pathologen die Autopsie vornahmen. Auch Dr. Mavrikian war dabei gewesen und hegte ebenfalls nur wenig Hoffnung, die Todesursache herauszufinden. Das erkannte Wexford bereits beim flüchtigen Lesen des Berichts. Der einzige Hinweis war eine angeknackste Rippe.

3
    _____
    Wexford hatte sein Team versammelt, um ihm nach bestem Wissen eine Zusammenfassung der mageren Fakten zu geben. Die bildliche Darstellung auf dem stark vergrößerten Computerbildschirm überließ er allerdings DS Hannah Goldsmith. Mit Computern kam er nicht gut zurecht, und das würde sich auch nicht mehr ändern. Bei der geöffneten Bilddatei handelte es sich um einen Lageplan von Old Grimble’s Field, dem westlich davon gelegenen Grundstück samt Haus, dem gegenüberliegenden Haus und den beiden Häusern südlich davon. Hannah ließ den Cursorpfeil zum Fundort der Leiche wandern und anschließend zu jedem Wohngebäude

Weitere Kostenlose Bücher