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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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an dem wunderschönen Spiegel und den alten Zapfhähnen aus Porzellan satt sehen. Allerdings legten die Anwesenden darauf scheinbar keinen großen Wert.
    «Hallo», sagte Harvey und ließ ein paar Münzen auf den Tresen rollen. «Zwei davon.» Er zeigte auf einen der Zapfhähne. Als der Wirt mit dem Bier kam, fragte Harvey leutselig wie immer: «Sagen Sie mal, das hier ist nicht zufällig das ehemalige ‹Gasthaus zur Rose›, oder?»
    «Das ehemalige was, Kumpel?» Der Wirt kniff die Augen zusammen.
    «Es gab einmal ein Gasthaus in Deptford Strand, das angeblich ‹Zur Rose› hieß. Die Wirtin war eine gewisse Eleanor Bull. Meiner Meinung nach müßte es irgendwo hier gewesen sein. Christopher Marlowe wurde darin umgebracht.» Er schob Melrose ein Aleglas zu und trank einen kräftigen Schluck aus seinem.
    «Ein Mord?» Der Wirt wurde blaß. «Was reden Sie da? Hören Sie, sind Sie von der Polizei oder was?»
    «Polizei? Wer, wir ? Nein, nein, Sie verstehen nicht –»
    Wird er auch nie, dachte Melrose seufzend. Er erhob sich von dem unbequemen hölzernen Barhocker, nahm sein Bier und setzte sich an einen Tisch. Von dort sah er zu, wie Harvey auf den Wirt einredete. Eine verbittert aussehende Frau, die am Tresen vorbeistolzierte wie auf Sprungfedern, blieb stehen und mischte sich in das Gespräch ein. Schließlich setzte Harvey sich achselzuckend zu Melrose an den Tisch.
    «Sie haben noch nie was von der ‹Rose›, von Eleanor oder von Marlowe gehört. Aber sie sagten, daß sie für Leute, die unter sich sein wollen, noch Hinterzimmer haben. Kommen Sie, die schauen wir uns mal an.»
    Harvey ging durch einen schmalen dunklen Flur voraus, an dessen Ende links und rechts zwei Türen in zwei identisch aussehende Zimmer führten. Deren einzige Ausstattung bestand aus runden Tischen und Stühlen, die ebensowenig zum Sitzen einluden wie die im Hauptraum. Die letzte Tür führte ins Freie; über ihr hing ein Schild – «Vorsicht Kopfhöhe».
    Sie zogen die Köpfe ein und betraten den Garten beziehungsweise das, was in grauer Vorzeit einmal ein Garten gewesen, aber inzwischen völlig überwuchert war. Eine Öffnung in der bröckelnden Steinmauer führte auf die schmale Gasse.
    Melrose ließ sich auf einer schiefen Bank nieder, während Harvey begeistert die Szene musterte. «Genauso könnte es ausgesehen haben, Mel.» Er bewegte sich plötzlich wie ein Regisseur, der die Positionen der Schauspieler festlegt, Kit dahin und Bob dorthin dirigiert. «Sehen Sie es nicht vor sich?»
    «Nein», sagte Melrose charmant. Er gähnte.
     
    «Sagen Sie es niemandem», sagte Harvey, als sie sich an einem Tisch im öffentlichen Teil des «Halbmondes» niedergelassen hatten, «aber ich schreibe gelegentlich selbst Gedichte.»
    «Glauben Sie mir», sagte Melrose, der sich insgeheim Gedanken darüber machte, ob schon einmal jemand in einem Aleglas ertrunken war, so wie dereinst der Herzog von Clarence in einem Faß Malvasier, «ich werde es keiner Menschenseele verraten.»
    «Hauptsächlich Sonette. Ja, und sie sind alle hier drin.» Er tätschelte den Computer, trank von seinem Bier und betrachtete Melrose aus den Augenwinkeln. «Wollen Sie einen Vers hören? ‹Im Sand noch der Abdruck des Fußes –›»
    Melrose unterbrach ihn eiligst. Er würde dieses Gedichteaufsagen im Keim ersticken, und wenn es ihn das Leben kostete. «Wenn ich Sie wäre, würde ich beim Programmieren von Computern bleiben.»
    Harvey schüttelte betrübt den Kopf. «Wissen Sie was, Mel? Sie können einem wirklich alles vermiesen.»
    « Ihnen doch nicht. Sie werden sich auch weiterhin gut amüsieren, ohne daß ich Sie daran hindern könnte.»
    «Was machen Sie übrigens, wenn Sie sich amüsieren wollen? Haben Sie ein Mädel?»
    «Ein Mädel?»
    «Ja, Sie wissen schon.» Er zeichnete mit den Händen Kurven in die Luft.
    «Natürlich weiß ich. Im Moment leider nicht. Und Sie?»
    Harvey ließ den Blick über die dunklen, leeren Tische schweifen. «Ich hatte mal eins. Wir wollten heiraten. Ich kannte sie noch nicht sehr lange. Liebe auf den ersten Blick – wechselseitig.» Er seufzte. «‹Das war in einem andern Land. Und außerdem, die Dirn’ ist tot.›»
    Es überraschte Melrose nicht, daß Harvey Marlowe zitierte; allerdings verwunderte ihn der bittere Tonfall, den er von ihm nicht kannte. «Tut mir sehr leid.»
    «Ah …» Mit einer Handbewegung schien er das Mädchen, den Tod und das andere Land wegzuwischen. «Ich grüble nicht. Das wäre das Schlimmste, was

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