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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Mein Gott, können Sie sich etwas Schrecklicheres vorstellen …?» Wiggins schauderte.
    Jury hob langsam seinen Kopf aus der Hand, die auch nicht viel gegen seine Kopfschmerzen ausrichten konnte, und sagte: «‹Durch die Lande eilt die Pest›. Könnten Sie bitte diese Strophe vorlesen?» bat er Melrose.
    Plant setzte seine Brille auf und las:
     
    «Ihr Reichen trauet nicht dem Geld,
es kann Gesundheit euch nicht kaufen.
Den Körper selbst der Tod schon hält,
da alle Dinge endlich laufen.
Durch die Lande eilt die Pest;
ich bin krank und bald verwest.»
     
    Jury sah Melrose an und sagte: «Als Sie sich mit Harvey unterhielten, war doch die Rede von einer Frau?»
    «Ach, ja. ‹Das war in einem andern Land. Und außerdem, die Dirn’ ist tot.›»
    Jury, der seinen eigenen Gedanken nachhing, sagte zu Wiggins: «Wiggins, da war etwas dran an dem, was Sie sagten.»
    Wiggins sah sich im Zimmer um, als könnte er dieses Etwas irgendwo finden. «Sir?»
    «Die öffentlichen Hinrichtungen. Das Aufschlitzen der Körper. Daß das, was mit den Opfern geschah, kaum zivilisierter war als damals.»
    Jury erhob sich. Der Gedanke, den er in Racers Büro noch nicht hatte formulieren können, war jetzt greifbar geworden. «Wir haben uns nur auf diese eine Strophe konzentriert – diejenige, die der Mörder uns hinterlassen hat – und dabei den Inhalt des ganzen Gedichts außer acht gelassen.» Jury ging auf die Tür zu.
    «Wohin gehen Sie, Sir?»
    «Zu James Farraday. Ich muß blind gewesen sein. Ich habe die einzige wirklich wichtige Person vernachlässigt.»
    Melrose setzte die Brille ab. «Ich kann nicht folgen. Welche einzige wichtige Person?»
    «Ihre Mutter», sagte Jury.
     
    «Nell?» sagte James Farraday. «Was ist mit ihr?» Er saß in dem eleganten Speisesaal des «Brown’s» und trank einen Whisky, bestimmt nicht seinen ersten. «Ich verstehe nicht.»
    «Erzählen Sie mir, was Sie über sie wissen, Mr. Farraday», sagte Jury.
    «Aber sie ist doch tot.» Farraday steckte sich eine schwarze Zigarre in den Mund, vergaß aber, sie anzuzünden.
    «Das ist mir bekannt. Penny sagte, ihre Mutter sei an ‹Auszehrung› – wie sie das nannte – gestorben. Was für eine Krankheit es eigentlich war, hat sie nicht gesagt. Ich glaube, sie wußte es nicht. Können Sie mir das sagen?»
    Farraday ließ sich sehr viel Zeit mit der Antwort: «An einer Geschlechtskrankheit.» Er machte eine Pause. «Syphilis.» Er schien nicht zu wissen, wohin er blicken sollte, zum Fenster hinaus oder auf sein Whiskyglas. «Und das ist nicht gerade das, was man Kindern erzählt, oder?»
    «Nein.»
    «Nell war ein dummes junges Ding vom Land. Sie hat zu lange gewartet, Sie verstehen? Als der Arzt es mir sagte, war es bereits zu spät.» Endlich zündete er sich seine Zigarre an. «Sie mußte ins Krankenhaus. Das heißt, es war eher eine Art Sanatorium. Alles, was sie noch tun konnten, war, es ihr so angenehm wie möglich zu machen. Angenehm! Die Hölle war es. Haben Sie schon einmal einen an Syphilis Erkrankten gesehen?»
    «Was haben Sie Penny und Jimmy erzählt?»
    «Na, einfach nur, daß sie gestorben ist.»
    ‹Einfach nur›. Jury fand es merkwürdig, daß der Tod der Mutter so beiläufig abgetan worden war. «Und wie hat sie die Syphilis bekommen, Mr. Farraday?»
    «Sie glauben, durch mich, stimmt’s? Aber ich war es nicht, Superintendent. Ich nehme an, sie hat mit jedem geschlafen. Hören Sie, als ich Nell Altman traf, war sie drauf und dran, ihr Geld auf der Straße zu verdienen; die beiden Kinder hatte sie auch am Hals. Gedankt haben sie es mir nicht, das kann ich Ihnen sagen –»
    Das klang weniger nach Selbstmitleid als nach dem Versuch, Zeit zu gewinnen, dachte Jury. «Als Sie von der Syphilis erfuhren, müssen Sie doch Fragen gestellt haben –»
    «Ob ich sie gefragt habe – Sie sind vielleicht komisch. Ich habe, verdammt, eine Menge Fragen gestellt. Aber sie hat sie mir nicht beantwortet. Sie kannten Nell nicht. Großer Gott, sie war der Eigensinn in Person.»
    «Wenn sie Ihnen nichts gesagt hat, woher wollen Sie dann wissen, daß sie mit jedem geschlafen hat?» Jury verspürte ein unerklärliches Verlangen, den Leumund dieser Frau zu verteidigen. «Es konnte doch auch ihr Mann gewesen sein, der –»
    «Mann? Es hat nie einen gegeben.»
    «Also gut. Nennen Sie diesen Herrn, wie Sie wollen –»
    «Ich werde diesem verfluchten Herrn schon die passende Bezeichnung geben. Ein Hurensohn war er!» Farraday beugte sich über den Tisch

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