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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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größte Verlust für die englische Literatur.» Melrose, der äußerst selten dozierte, verspürte plötzlich das Bedürfnis dazu. Außerdem spürte er die Wirkung des Alkohols. Zweifellos eine Abwehrreaktion gegen diesen Ansturm totaler Unvernunft. «Neunundzwanzig war er –»
    Der Verlust für die Literatur ließ Harvey Schoenberg jedoch kalt. Er war Wichtigerem auf der Spur. «Ja, er starb. Aber das tun wir alle. Der Punkt ist, daß die meisten annehmen, Skeres und Frizer wären von Walsingham gedungen worden, und die Gründe wären, wie gesagt, politischer Natur gewesen. Wissen Sie, was ich davon halte?»
    «Keine Ahnung.»
    «Vollkommener Blödsinn.» Schoenberg lehnte sich selbstzufrieden zurück, den Arm über die Rückenlehne seines Stuhls gelegt.
    «Tatsächlich?» Melrose wagte kaum zu fragen, aber er spürte gleichzeitig, daß sein Widerstand mehr oder weniger gebrochen war: «Was ist also passiert? Wer ist Ihrer Meinung nach verantwortlich?»
    Harvey Schoenberg ließ dieses verschwörerische, piratenhafte Lächeln aufblitzen, das wirkte, als hätte er ein Messer zwischen den Zähnen. «Sie werden aber niemandem von meiner Theorie erzählen?» Und wieder tätschelte er seinen Computer. «Hier ist alles drin – das ganze Beweismaterial.»
    «Jemandem davon erzählen? Ich schwöre, selbst auf der Streckfolter würde kein Wort über meine Lippen kommen.»
    «Shakespeare», sagte Harvey Schoenberg und leerte sein Glas zufrieden bis auf den letzten Tropfen.

3
    Entgeistert starrte Melrose ihn an. Aber Harvey Schoenberg schien die Tatsache, daß er eben den wahnwitzigsten Schluß in der Literaturgeschichte gezogen hatte, völlig kaltzulassen. «Sie wollen mir also weismachen, daß William Shakespeare die Schuld an Christopher Marlowes Tod trifft?»
    Harveys graue Augen glitzerten wie die Scherben eines zerbrochenen Spiegels. Er lächelte und nickte. Er bot Melrose eine Zigarette aus einer Packung Salem an.
    «Sie sprechen von dem größten literarischen Genie aller Zeiten!»
    «Was hat das eine mit dem anderen zu tun?» Harvey beugte sich vor, um Melrose Feuer zu geben. «Was das Temperament betrifft, so wissen Sie doch, wie Schriftsteller, Maler und ihresgleichen einzuordnen sind. Äußerst labil. Und die Genies sind wahrscheinlich die verrücktesten.»
    «Shakespeare war nicht ‹verrückt›.» Melrose hustete, als er den Rauch der nach Menthol schmeckenden Zigarette einatmete. «Im Gegenteil, alles spricht dafür, daß Shakespeare ein äußerst vernünftiger und geschickter Geschäftsmann war.»
    Warum ließ er sich überhaupt auf diesen Amerikaner und seine verrückten Theorien ein? Hatte er vielleicht mit Agatha zu viele Gespräche dieser Art geführt?
    Harvey hob einen Fuß auf seinen Stuhl und legte das Kinn auf sein Knie. «Der Punkt ist – was wissen wir denn wirklich über diese Burschen, die damals gelebt haben? Verflucht, selbst den eigenen Namen haben sie jedesmal anders geschrieben.» Er ließ seine Asche auf den Fußboden fallen. «Marloe, Marley, Marlowe und sogar Marlin – ich bin auf sieben, acht verschiedene Schreibweisen gestoßen –, wie zum Teufel sollen wir da wissen, was sie geschrieben oder unterschrieben haben.»
    «Und was war sein Motiv? Hatte Shakespeare auch nur den geringsten Grund, Marlowe aus dem Weg zu räumen?»
    Harvey beugte sich wieder über den Tisch und sagte: «Mel, haben Sie denn nicht zugehört? Der Earl von Southampton, das war der Grund.»
    «Aber der Earl von Southampton war doch Shakespeares Gönner! Nicht Marlowes. Das ist doch …»
    Harvey seufzte, als hätte er es satt, eine Lektion zu wiederholen, die schon längst hätte sitzen sollen. Wieder wandte er sich dem Computer zu, tippte etwas ein und sagte: «Die Eifersucht zwischen beiden hätte ausgereicht, ein Schlachtschiff zu versenken, und Sie sind verrückt, wenn Sie das leugnen wollen. Sie sagten, Sie hätten die Sonette gelesen. Dann schauen Sie sich das mal an.»
     
    Da ich allein dich rief als Muse an,
    zehrt’ ich allein von deiner Anmut Gnade.
    Doch ist nun bald mein Liederschatz vertan,
    und andre schreiten schon auf meinem Pfade.
     
    Ich weiß, Geliebter, wohl: dein holdes Bild
    ist wert, daß beßre Dichter von ihm singen;
    doch was den Sänger je vor dir erfüllt,
    er stahl es dir, um dir’s zurückzubringen.
     
    Pries deine Tugend er, nahm er den Preisstabilität
    von deiner Art; der deine Schönheit sang,
    fand sie auf deinem Antlitz, und er weiß,
    daß jedes Wort aus deinem Wert

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