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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Diese Rachedramen gleichen sich wie ein Ei dem anderen.»
    Melrose mußte ihm entgegen seiner Absicht widersprechen: « Hamlet fällt für mich keineswegs in die Kategorie eines Rache –»
    Es wurde ihm jedoch nicht gestattet, seinen Gedanken zu Ende zu formulieren.
    «Wieso nicht? Alles derselbe Kram. Das Problem war nur – Hamlet wollte sich an Claudius rächen, hat aber immer die Falschen erwischt, bis er dann endlich an den Richtigen geriet.»
    Melrose mußte zugeben, daß diese Hamlet -Interpretation von herzerfrischender Schlichtheit war.

4
    Detective Superintendent Richard Jury machte sich nichts vor.
    Er wußte, daß sein Besuch bei seinem alten Freund Sam Lasko nur ein Vorwand war, um ein paar Tage in Stratford zu verbringen und wie durch Zufall vor Jenny Kenningtons Tür zu stehen.
    Die Füße auf Detective Sergeant Laskos Schreibtisch, blätterte er im Telefonbuch von Stratford. Er versuchte den Eindruck zu erwecken, daß er nichts Bestimmtes suchte; denn hinter den dichten Augenbrauen und den dicken, hornumrandeten Brillengläsern der Dame in der Ecke – Laskos Sekretärin – verbargen sich Augen, die wie Laserstrahlen das Telefonbuch bis zur Seite mit den Ks, die er gerade sichtete, durchdringen konnten, um dann mit einem perfiden Lächeln der Welt davon zu berichten. Jury gab sich Mühe, an nichts zu denken: Wahrscheinlich konnte sie auch Gedanken lesen.
    Er fand den Eintrag Kennington, J . nahm einen Bleistift und notierte die Nummer in seinem Adreßbuch. Indem er sich einredete, nun die Straße nach London suchen zu wollen, stand er auf und besah sich den großen Stadtplan von Stratford. Sie wohnte in der Altstadt.
    «Kann ich Ihnen behilflich sein, Superintendent?»
    Die Stimme traf ihn zwischen den Schulterblättern. Er fuhr herum. Machte sie sich über ihn lustig? «Was? Nein. Nein. Ich habe nur nachgesehen, wie ich am besten nach London zurückkomme.»
    «Was ist mit der Straße, auf der Sie hergekommen sind?» fragte sie. Schwungvoll zog sie ihren Bogen aus der Maschine und lächelte ihr seelenkundiges Lächeln.
    Er wollte etwas über Baustellen und Straßenarbeiten vor sich hin brummen, sagte dann aber nichts, weil sie ihm früher oder später doch auf die Schliche kommen würde. Sie jedoch spannte ein neues Blatt ein, als wäre die Frage ohnehin müßig gewesen.
    Idiotisch, dachte Jury, meinte jedoch nicht sie damit, sondern sich selbst. Er lehnte sich auf Laskos Stuhl zurück und fragte sich, wieso er eigentlich dem Gesang wahrhaft verführerischer Sirenen gegenüber stets taub blieb, während er anderen Frauen gedankenlos nachhechtete.
    Angeregt durch diese Wassermetaphorik, schweiften seine Gedanken an die Ufer des Avon; in seiner Phantasie befreite er sie von den Touristen und ließ Jenny Kennington allein am Fluß entlangwandeln. Die Enten in ihrem schillernden Blau und Grün schaukelten schläfrig im Riedgras, und auf dem kühlen, ruhigen Wasser glitten die Schwäne vorbei. In Gedanken drückte er auf den Auslöser: Enten, Schwäne, Jenny Kennington. Dann ließ er es September werden. September wäre noch viel besser. Die Sonne fiele durch die Bäume, und das Wasser wäre mit goldenem Licht überzogen. Oktober. Noch besser. So kalt, daß sie sich die Arme reiben und den Wunsch nach menschlicher Wärme verspüren würde …
    Jenseits der Decke der Polizeiwache schaukelten Enten und schwebten Schwäne, und Jury zerbrach sich den Kopf, wie er diesen Zauber Wirklichkeit werden lassen könnte. Wie wäre es mit einer Einladung zum Dinner im «Schwarzen Schwan» mit ihm und Melrose? Und dann ins Theater? Plant hätte bestimmt nichts dagegen, obwohl er sie letztes Jahr in Littlebourne nicht kennengelernt hatte.
    Immer mit der Ruhe, Kumpel. Melrose Plant mußte einer der begehrtesten Junggesellen auf den Britischen Inseln sein. Er besaß Verstand, Charakter, war liebenswürdig und sah gut aus. Jury war sich nicht sicher, ob er dergleichen auch zu bieten hatte. Aber er wußte verdammt gut, daß er alles übrige nicht besaß. Geld zum Beispiel. Melrose Plant war nämlich steinreich. Und dazu noch adlig. Obwohl er auf seine Titel verzichtet hatte, gehörten sie zu ihm wie das Kielwasser zu einem Schiff. Der Earl von Caverness, Lord Ardry. Zwölfter Viscount der Ardry-Plant-Linie –
    Lady Kennington und Lord Ardry …
    Besser kein gemeinsames Dinner im «Schwarzen Schwan».
    Das ist absurd! Du bist ein Polizeibeamter! Er sprang von Laskos Stuhl auf.
    «Wer ist Polizeibeamter?»
    Zu seiner

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