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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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beschlossen, den Kirchenweg zu verlassen und den Weg am Fluß entlang zu nehmen, als Schoenberg, der immer noch an seiner Seite war, fragte: «Wer ist Lucy?»
    «Was?»
    «Lucy.» Schoenberg zeigte auf den gepflasterten Weg. Die Inschrift war in den Stein unter ihren Füßen gemeißelt. «Eine Freundin Shakespeares oder so was Ähnliches?»
    «Ich glaube, es ist der Name einer Familie. Der Lucys.»
    Melrose wies mit seinem Spazierstock, den ein silberner Knauf zierte, nach links und rechts auf den Boden unter den Linden. «Sie müssen entweder da oder dort begraben sein.»
    «Komisch, wir gehen also über Gräber?»
    «Hmm, ich wollte eigentlich am Fluß entlanggehen, Mr. Schoenberg. Hat mich gefreut –»
    «Gut.» Er schob den Schulterriemen des großen Metallkastens etwas höher und folgte Melrose über den Rasen. Er war wie ein entlaufener Hund, dem jemand im Park den Kopf getätschelt hat und der sich nun nicht mehr abwimmeln läßt.
    «Mir entgeht nichts», sagte Schoenberg, der sich einen Kaugummi in den Mund schob. «Ich sammle nämlich Material für ein Buch.»
    Es wäre wohl unhöflich, dachte Melrose, ihn nicht zu fragen, was für ein Buch das sein soll. Also tat er es.
    «Über Shakespeare», sagte Schoenberg fröhlich und begann zu kauen.
    Melrose seufzte innerlich tief auf. Oje! Warum um Himmels willen wollte dieser Amerikaner, dessen Gesicht so blank geschrubbt war wie eine Frühkartoffel, sich ausgerechnet in diese gefährlichen Gewässer begeben?
    «Es muß doch Berge von Büchern über Shakespeare geben, Mr. Schoenberg, haben Sie denn keine Angst, darunter begraben zu werden?»
    «Harv. Begraben? Aber nein. Was ich vorhabe, ist vollkommen neu. Eigentlich geht es vor allem um Kit Marlowe, weniger um Shakespeare.»
    Melrose scheute sich fast zu fragen: «Ich hoffe, es geht nicht um die Authentizität seiner Werke?»
    «Authentizität? Sie meinen, wer sie geschrieben hat?»
    Schoenberg schüttelte den Kopf. «Es ist eher biographisch als literarisch. Eigentlich ist es Marlowe, für den ich mich interessiere.»
    «Ich verstehe. Als Gelehrter? Gehören Sie irgendeinem Institut an?»
    «Ich hab nicht mal meinen Master. Diesen Intellektuellenmist überlasse ich meinem Bruder. Er ist Dekan am Englischen Seminar eines Colleges in Virginia. In ein paar Tagen treffe ich mich mit ihm in London. Nein, ich bin Programmierer.» Er tätschelte den Metallkasten und zog den Schulterriemen hoch.
    «Tatsächlich? Ich war schon immer der Meinung, daß wir viel zuviel Dekane und viel zuwenig Programmierer haben.»
    Harvey Schoenberg grinste übers ganze Gesicht. «Na, es wird bald jede Menge davon geben, Mel. Der Computer wird unsere Welt verändern. Wie dieses kleine Baby hier.» Und er tätschelte den Kasten, als wäre er tatsächlich ein Baby.
    Melrose blieb abrupt stehen, und ein paar hungrige Schwäne kamen erwartungsvoll angepaddelt. «Mr. Schoenberg, Sie wollen doch nicht etwa sagen –»
    «Harv.»
    «– daß da wirklich ein Computer drinsteckt?»
    Harvey Schoenbergs dunkle Augen glitzerten durch das Spinngewebe aus Schatten, das die Weiden auf sein Gesicht warfen. «Und ob. Wollen Sie ihn sehen, Mel? Aber warten Sie, ich lad Sie zu einem Bier ein und erzähl Ihnen alles haarklein. Einverstanden?»
    Ohne seine Antwort abzuwarten, setzte Harvey sich in Bewegung.
    «Na ja, ich –» Melrose war sich keineswegs sicher, ob er alles haarklein wissen wollte.
    «Kommen Sie, kommen Sie», Harvey Schoenberg gestikulierte, als wären sie im Begriff, einen Bus zu verpassen. «Die ‹Torkelnde Ente› ist gleich da drüben. Oder der ‹Schwarze Schwan›, wie Sie wollen. Wie kommt es eigentlich, daß das Lokal zwei Namen hat?»
    «Soviel ich weiß, ist der ‹Schwarze Schwan› das Restaurant.»
    Schoenberg sah über die Schulter zurück auf den Fluß.
    «Wo kriegen sie nur die Schwäne her? Ich hab mir die Sache zum Spaß etwas näher angesehen und ein kleines Programm zusammengestellt, um rauszufinden, wann am wenigsten damit zu rechnen ist, daß sie sich am Ufer versammeln, um sich füttern zu lassen. Der Ishi hat das alles für mich ausgerechnet.»
    Melrose wußte nicht genau, wie er diese Information aufnehmen sollte. «Ich nehme an, die Schwäne kommen aus einem Schwanenteich.»
    «Tatsächlich. Ist das eine Art Hühnerfarm?»
    Der «Schwarze Schwan» lag direkt vor ihnen. Melrose hatte das Gefühl, einen Drink zu benötigen. «Nicht wirklich.» Er hob den Blick zum strahlend blauen Himmel und fragte sich, ob er

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