Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen
weiteten sich erstaunt. Sie sank wieder in das Blumenmuster zurück. »Keine Ahnung. Ich staunte bloß, dass er so fasziniert von ihr war, sie war nämlich mindestens zehn oder fünfzehn Jahre älter als er.« Sie richtete sich auf. »Mr. Jury, wenn ich jetzt keinen Tee bekomme, fange ich an zu jaulen. Würden Sie mit mir in die Küche kommen? Wir können unser Gespräch fortsetzen, während ich das Teewasser aufstelle.«
»Sehr gern.« Ach, wie sehr wünschte er, Wiggins wäre hier! Für Wiggins hatte eine Stippvisite in der Küche eine ebenso verjüngende Wirkung wie ein Ausflug nach Lourdes. Er folgte Rose Ames aus dem Wohnzimmer.
Die Küche war recht hübsch: Hängeregale mit blitzblanken Kupfertöpfen und -pfannen. Sie füllte einen kupfernen, ziemlich alt und abgenutzt aussehenden Teekessel und stellte ihn auf einen großen Profiherd.
»Ich bin überrascht, dass Sie kein Personal haben – oder zumindest eine Köchin.«
»O, die habe ich, bloß stecken die wieder weiß Gott wo. Wie Mäuse huschen sie zu den unpassendsten Zeiten einfach davon. Immer wieder nehme ich mir vor, sie alle rauszuschmeißen, aber ich bin faul. Das würde bedeuten, Ersatz zu finden, und Sie wissen ja, wie schwer das ist. Billy hatte Glück, dass er eine recht anständige Köchin hatte, obwohl sie sich für besser hält, als sie tatsächlich ist.« Den letzten Satz flüsterte sie wie eine vertrauliche Mitteilung.
»Mrs. Jessup?«
»Heißt sie so? Ich will natürlich immer Miss Jessel zu ihr sagen. Man beschäftigt sich ja doch unheimlich mit Henry James, wenn der Enkel in dessen ehemaligem Haus lebt.«
Jury stand an den Türrahmen gelehnt und schaute zu, wie sie die Teedose öffnete und ein paar Löffel davon in eine Teekanne aus Steinzeug gab.
»Na ja, diese Frau hegt eine heftige Abneigung gegen mich.« Dies sagte sie mit einem Achselzucken. »Wahrscheinlich, weil ich ihre Kochkunst kritisiert habe. Vor einem Monat war ich sonntags einmal zum Mittagessen in Lamb House. Sie tischte eine sehr schöne Lammkeule auf, blutig gebraten. Nun weiß ich, dass ›blutig‹ heutzutage sehr angesagt ist, in Restaurants haben sie inzwischen diesen Geschmack entwickelt, dass alles roh sein muss« – sie stellte Zucker, Tassen und Untertassen auf einem Tablett zusammen – »man soll aber kein blutig gebratenes Lamm essen. Es muss vollständig durch sein, um diese Krankheit nicht zu übertragen – BSE heißt es, glaube ich –, nein, das ist Rinderwahnsinn, nicht? Na, jedenfalls gibt es eine, die Schafe übertragen können.«
»Das wusste ich nicht.«
»Dann wissen Sie es jetzt, also sehen Sie sich vor. Oder vielmehr, sagen Sie’s Ihrer Köchin.«
»Oh, das werde ich bestimmt tun.«
Als der Teekessel auf der Herdplatte klapperte, nahm sie ihn schwungvoll herunter und füllte die Kanne. »Mrs. Jessup nahm also Anstoß an meiner Kritik und meinte, noch nie hätte jemand ihre Kochkunst kritisiert, woraufhin ich entgegnete, es sei keine Kritik an ihrer Kochkunst, bloß müsse das Lamm eben, ganz egal, wer es zubereitet, gut durchgebraten sein. Sie war aber nicht zu besänftigen. Außerdem hatte sie bei einem anderen Anlass einmal Kaninchen serviert, und ich weigerte mich, es zu essen – wegen der Gefahr von Tularämie.«
»Was ist das?«
»Ein Bakterium, das von Kaninchen übertragen wird und tödlich sein kann. Wieder ging es um ihre Kochkünste, die, wie ich ihr sagte, außer Frage standen. Können Sie das Tablett tragen?«
»Aber gern.« Jury nahm es ihr ab und folgte ihr zurück ins Wohnzimmer.
Über die Schulter gewandt sagte Rose: »Und dann gibt es auch noch Myxomatose.«
»Nie gehört.« Jury stellte das Tablett auf dem Sofatisch ab.
»Erinnern Sie sich denn nicht an diese schreckliche Zeit, als die Regierung fast die gesamte Kaninchenpopulation vernichten ließ, wegen Myxomatose? Ich fand das einfach kriminell, es bestand kein Grund, so weit zu gehen.« Sie schenkte Tee ein. »Philip Larkin hat ein Gedicht darüber geschrieben. Mögen Sie Philip Larkin?«
»Einer meiner Lieblingsdichter.«
Sie reichte Jury seine Tasse. »Es heißt ›Myxomatose‹, aber in Gedichten geht es ja nie um das, was sie vorgeben, habe ich recht? Na, jedenfalls spricht der Erzähler zu dem Kaninchen, das auf einem Feld gefangen ist. Ein ›lautloses‹ Feld nennt er es. Ich frage mich, ob das deswegen ist, weil dort Kaninchen zusammengetrieben und geschlachtet wurden und jetzt nur noch dieses eine übrig ist. Er malt sich aus, was das Kaninchen
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