Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen

Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen

Titel: Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matha Grimes
Vom Netzwerk:
Geschichten tauchen selten Kinder auf – kein Wunder!« Behutsam blätterte Melrose das James’sche Journal auf dem Tisch im Speisezimmer durch. Womöglich klebte der Lolli zwischen den Seiten. Zutrauen würde er es dem niederträchtigen Ding durchaus.
    »Wussten Sie eigentlich, dass James seine Tagebucheintragungen in erstaunlich guter Prosa schrieb?«
    »Ja, ich habe mir nämlich sein Journal angesehen. Wieso überrascht Sie das?«
    »Nur weil seine Romane schön geschrieben sind, muss das noch nicht heißen, dass alles so war.«
    Jury sagte: »Ich bezweifle, dass dieser Mensch überhaupt fähig war, schludrig zu schreiben.«
    Melrose ließ sich dies durch den Kopf gehen. »Vielleicht nicht. Und wenn Sie anrufen, um zu fragen, ob ich schon etwas herausgefunden habe, lautet die Antwort ›nein‹. Aber Moment mal …«
    »Was?«
    »Der Grund, weshalb Billy sich in Lamb House einmietete. Laut Mrs. Jessup deswegen, weil er die Bücher von James liebte. Und ständig eines las, behauptete sie.«
    »Das ist ja interessant. Und überrascht mich. Was ich bisher über Billy gehört habe, wirkt er auf mich eigentlich nicht wie einer, der besonders viel Geduld hat.«
    »Um Henry James zu lesen, meinen Sie? Hört sich an wie der Todeskuss für jeden Schriftsteller. Wenn ein Buch einen nicht sofort in seinen Bann schlägt, ist es verloren, glauben Sie nicht?«
    »Wie Proust? Wie viele Leute werden denn davon sofort in Bann geschlagen? Ich habe bloß den Anfang von In Swanns Welt gelesen. Wie übrigens die meisten Leute. Die lesen bis zu den in Tee getauchten Madeleines und geben dann auf.«
    »Laut Mrs. Jessup wollte er deswegen hier wohnen. Für seine Familie hat sie übrigens nicht viel übrig. Und wen sie richtig hasst, das ist seine Großmutter.«
    »Rose Ames?« Jury lachte. »Mrs. Ames hat ihre Kochkunst kritisiert. Das hat Mrs. Jessup schwer getroffen. Die Tochter von Mrs. Ames war Rodericks erste Frau. Sie starb bei einem Bootsunfall.«
    »Wie Mrs. Jessups Schwester. Oder Schwestern. Dora und noch wer. Bei einer Evakuierungsaktion, wo sie Kinder nach Kanada bringen wollten. Und von einem deutschen U-Boot aufgebracht wurden.«
    »Seavac.«
    »Wer ist das?«
    » Was ist das? Evakuierung auf dem Seeweg. Verstehen Sie?«
    Es entstand eine Pause, während der Melrose unter den Kissen auf dem Sofa im Salon nachsah.
    »Sind Sie noch dran?«
    »Ich suche den Lutscher.«
    »Ah, natürlich. Habe ich zur Unzeit angerufen –?«
    »Nein – da ist er! Da ist er!« Melrose ließ den Hörer fallen.
    Am Saum von James’ Weste im – oder auf dem – Porträt pappte der Lutscher des entsetzlichen Mädchens. Wie er bereits gemutmaßt hatte, war sie auf den Hocker gestiegen, hatte Hand oder Mund des Dargestellten nicht erreichen können und den Lutscher sodann unten an den Rand geklebt.
    Ach, wo waren die Geister von Miss Jessel und Peter Quint, wenn man sie einmal brauchte?
    Hinter ihm quäkte das Telefon.

43
    Diesmal kam die Haushälterin an die Tür. Sie nickte und lächelte, als Jury ihr sagte, wer er war. Dann folgte er ihr in das behagliche Wohnzimmer, wo Oswald Maples sein Buch beiseitelegte, die beiden Krückstöcke gegen die Armlehne seines Ohrensessels gelehnt.
    Die Haushälterin ging, und Jury sah, wie Maples sich gerade hochhieven wollte. Jury ließ sich in denselben Sessel wie beim letzten Mal fallen und seufzte. »Hoffentlich haben Sie nichts dagegen, dass ich hier einfach so zusammenklappe. Ich bin total erledigt.«
    »Ganz und gar nicht, Superintendent, aber wollen Sie den Mantel nicht ablegen?«
    Jury betrachtete seinen Mantel, als würde er soeben neu Bekanntschaft mit ihm schließen. Er stand auf und zog ihn aus.
    »Schmeißen Sie ihn irgendwo hin.«
    »Ihre Haushälterin gefällt mir.«
    »Die habe ich schon seit fast zehn Jahren. Eine nette Frau. Macht keine großen Umstände. Das hasse ich nämlich.«
    »Ich wollte mit Ihnen über Roderick und Billy sprechen. Wusste Roderick eigentlich, wer sein Vater war? Und konnte er sich an den Tag damals auf dem Bahnhof erinnern?«
    Oswald zögerte, als wollte er keine Antwort geben, und sagte dann: »Er weiß, dass sein Vater ein SS-Offizier war. Allerdings hat er mich nie darüber ausgefragt. Die SS, hm, vermutlich will er ja deswegen nicht darüber reden. Ob ihm klar ist, was General Röhm damals auf dem Bahnhof getan hat, weiß ich nicht. Er erinnert sich natürlich an den Kindertransport und an seine Ankunft hier in England.«
    »Wusste Billy es?«
    »Billy?« Es klang

Weitere Kostenlose Bücher