Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen
irgendwie erschrocken. »Nein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sein Vater es ihm gesagt hat.«
»Ich meine, Billy hätte es durchaus wissen können.«
Oswald wirkte erstaunt. »Wie kommen Sie auf den Gedanken?«
»Sie waren schon seit einiger Zeit nicht mehr im Haus Ihres Sohnes, nicht wahr?«
»Seit Jahren. Als Mary noch lebte. Das ist schon lange her.«
»Dann haben Sie auch die Gemälde nicht gesehen, die Roderick vor etwa einem Jahr erworben hat?«
»Nein. Gemälde?«
»Ihr Sohn behauptet, es seien Kopien. Das eine ist ein Klimt, das andere ein Soutine. Billy hatte so einen Verdacht und brachte einmal seine Freundin Angela Riffley mit, um zu sehen, was sie davon hielt. Sie war früher unter anderem Kuratorin gewesen, aber ob sie qualifiziert war oder nicht, ist eigentlich unerheblich. Jedenfalls versicherte sie Billy, die Gemälde seien Originale. Um das zu bestätigen, erforschte sie ihre Geschichte, überprüfte die Herkunft. Diese beiden Gemälde standen auf einer Liste von den Nazis konfiszierter Kunst. Sie wissen ja, was die alles raubten, Sie wissen, wie sie die Museen und Privatsammlungen dezimierten.«
»Ja, die Sammlung Rothschild, zum Beispiel.«
»Angela Riffley fand die Besitzergeschichte heraus, wie die Kunst aus einer Hand in die andere überging. Die Gemälde sind hier gar nicht wichtig, verstehen Sie, sondern wer sie besessen hat.«
»Röhm. Er muss sie jemandem zur sicheren Verwahrung überlassen haben, wenn Roderick sie jetzt hat. Und Sie glauben …«
»Dass Billy diese Information bekam und weiterforschte. Er fand heraus, wer General Röhm war. Ich meine, wenn Roderick der Erbe von Röhms Gemälden war, dann wäre das doch ein Grund, seine Verbindung dazu zu hinterfragen. Und er fand sie ja auch tatsächlich heraus.«
Eine Weile schwiegen sie.
Dann sagte Jury: »Ich glaube, diese konfiszierte Kunst, das Symbol dessen, was Röhm und die Schutz… wie ist die genaue Bezeichnung?«
»Sie meinen die SS. Schutzstaffel. Klingt beinahe harmlos, nicht wahr? Wie ein bayrisches Gebäck.«
»Vielleicht lässt sich damit auch Billys Mäzenatentum erklären, der großzügige Geldsegen für die Galerie, die er mochte, und die Unterstützung für bestimmte Künstler. Als Versuch, die Gräueltaten der Vergangenheit wiedergutzumachen, auf bescheidene Art ungeschehen zu machen, was sein Großvater verbrochen haben mochte. Billy hatte ein Gewissen, ein echtes Gewissen. Er fühlte sich schuldig, obwohl er selbst gar nichts getan hatte.«
»Ja, das begreife ich. Vorausgesetzt natürlich, Ihre Theorie trifft zu. Sie ist ziemlich clever, aber …«
Jury schüttelte den Kopf. »Es ist keine Theorie. Ich weiß, dass es stimmt.«
»Woher?«
»Meine Quelle war einwandfrei. Ein Priester.«
Oswald blinzelte wie von grellem Licht geblendet. »Du meine Güte!« Er schüttelte den Kopf. »Wenn Sie recht haben, würde das sein Verhalten allerdings erklären.«
Jury erhob sich. »Ich muss gehen – nein, stehen Sie nicht auf. Es gibt nur eine Frage, auf die ich aber keine Antwort finden konnte, jedenfalls bisher nicht. Bei all diesen Recherchen über die Vergangenheit – seinen Vater, die Bilder, seinen Großvater –, warum hat er Sie nicht gefragt? Denn wenn jemand Antworten parat gehabt hatte, dann doch Sie.«
»Ja, das möchte ich auch gern wissen. Entweder dachte er, ich wüsste nichts, oder er vertraute mir nicht.«
Jury schüttelte den Kopf. »Beides glaube ich nicht. Ich bin aber schließlich doch darauf gekommen.«
Obwohl Jury ihm gesagt hatte, er solle nicht aufstehen, erhob sich Sir Oswald. »Und?«
»Er wollte Sie schützen.« Jury lächelte. »Er wollte nicht, dass Sie an seinen Verdächtigungen und später an seinen Erkenntnissen teilhatten. Er nahm an, Sie wüssten es nicht. Und Sie wollten ihn aus dem gleichen Grund schützen. Ich weiß nicht, was das für Sie bedeutet, aber für mich bedeutet es verdammt viel. Leben Sie wohl, Sir Oswald.«
Jury nickte ihm zum Abschied grüßend zu und ging hinaus.
44
Trevor, der Weinexperte, hielt Harry Johnson eine Flasche zur Begutachtung hin.
Jury ließ sich neben Harry auf einem Barhocker nieder und sagte: »Lassen Sie ihn ruhig ordentlich blechen, Trevor. Suchen Sie eine raus, die mindestens hundert Mäuse kostet.«
»Schon geschehen.« Trevor setzte den Korkenzieher an.
»Hallo, Mungo«, sagte Jury. Der Hund glitt unter Harrys Hocker hervor. Jury griff hinunter und kraulte ihm den Kopf.
Es war ein warmer Nachmittag im Old Wine Shades,
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