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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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«Komm, Henry», sagte sie in ihrem gewohnt unwirschen Ton.
    Henry kletterte aus dem Auto und trottete gemächlich über den Hof hinter ihnen her. Jessie hielt Jury an der Hand gefaßt.
    «Soll ich Ihnen mal was sagen?» fragte sie mürrisch.
    «Ja. Was denn?»
    «Hoffentlich muß ich es nie mit Jane Eyre aufnehmen.»
     
     
    A LS R OBERT A SHCROFT und Victoria Gray ein paar Minuten später nach Hause kamen, hörten sie schon von weitem die Sirenen, sahen schon von fern die Blaulichter und das Feuer in der Einfahrt.
    «Lieber Gott, du lieber Gott», flüsterte Victoria.
    Robert Ashcroft gab Gas.
    Er sprang aus dem Auto, bahnte sich einen Weg durch die Polizisten und die Krankenpfleger und rannte auf das Haus zu. Und die ganze Zeit rief er nach seiner Nichte.
    Noch nie hatte Jury einen Mann gesehen, dem erst die Angst und dann die Erleichterung so ins Gesicht geschrieben stand.
    Jessica, das Gesicht voller Schmieröl, die Hände in den Hüften und Öl im Haar, funkelte ihren Onkel an. «Ich will keine Gouvernanten mehr. Bis ich ins Internat komme, will ich einen Leibwächter haben. Den Mann, der mir das Leben gerettet hat.»
    Ashcroft nickte nur. In seinen Augen standen Tränen.
    «Komm, Henry.» Langsam stiegen Jess und Henry die Treppe hoch. Auf halber Höhe drehte sie sich noch einmal um: «Nie bist du da, wenn die Axtmörder kommen», sagte sie zu ihrem Onkel.
    Dann gingen Henry und sie müde weiter.

S IEBTER T EIL
    I N EINEM
KÜHLEN G RUNDE
     
     

28
    I N DER K IRCHE VON W YNCHCOOMBE wrang die alte Putzfrau ihr Scheuertuch aus. Sie sang vor sich hin, verstummte dann aber plötzlich, vielleicht aus Pietät, denn erst gestern hatte man den Enkel des Pastors begraben, vielleicht aber auch, weil sie sich vor Jury genierte.
    Der Tod nahm auf den Steinfußboden keine Rücksicht, der wurde trotzdem schmutzig, und die Blüten welkten, selbst die Blumen auf dem Altar würde sie bald durch frische ersetzen müssen. Er sah zu, wie sie mit dem schmuddeligen Scheuertuch die Platten bearbeitete, und sinnierte darüber nach, daß der Alltag trotz fürchterlicher Todesfälle immer weiterging.
    Die alte Frau mit dem Scheuertuch und dem Eimer beachtete ihn nicht weiter, noch so einer, der sich dieses kleine Wunderwerk ansehen wollte, diese Kirche, die sich kathedralengleich über dem Tal im Moor erhob.
    Jury warf ein paar Münzen in den Opferstock und lauschte der Putzfrau, die nun doch wieder begonnen hatte, vor sich hin zu summen. Er dachte an Molly Singer und stellte sich vor, daß irgendwo in Waterford, Clare oder Donegal ein irisches Mädchen beim Abwaschen war und vielleicht summte, weil die Arbeit so langweilig war.
    Warum müssen Sie immer recht behalten, Mac?
    Er betrachtete das Gemälde, das Abraham darstellte, wie er das Messer auf den entsetzten Isaak richtete. Sein Vater war bereit, ihn zu opfern. Gott brauchte nur noch den entsprechenden Befehl zu geben.
    Für Macalvie, der in ihrem Fall die ganze Zeit recht gehabt hatte, war sie Mary Mulvanney.
    Für Jury würde sie immer Molly Singer sein.
    Er verließ die Kirche und spürte den Blick der alten Putzfrau im Rücken.
     
     
    A LS ER DEN ‹V ERIRRTEN W ANDERSMANN › BETRAT , hörte er zu seiner großen Erleichterung den Divisional Commander Macalvie brüllen und den Lärm der Jukebox noch übertönen: Er würde Freddie an einen Baum in Wistman’s Wood binden, wenn sie nicht augenblicklich aufhörte, bei Elvis mitzusingen. Es war eine Version von «Are You Lonesome Tonight?», Elvis vergaß den Text, lachte über sich selbst, und die Zuhörer lachten mit. Kommt der gut bei seinem Publikum an, dachte Jury. Es war ein Song, den Elvis an die hundert Mal gesungen haben mußte, und doch hatte er den Text vergessen, vielleicht weil ihn die Kräfte verließen. Aber seine Fans hatten ihn nicht vergessen. Das würden sie auch nie. Manche Dinge vergaß man nicht. Sein letztes Konzert zum Beispiel.
    «Sie sind mir aber ’n komischer Vogel, Sie. Der is tot, Mann. Ham Se keine Ehrfurcht nich vor die Toten?»
    Macalvie brüllte zurück: «Wenn, dann müßte ich ja auch Ehrfurcht vor Ihnen haben.» Dann begrüßte er Jury mit einem gequälten «Hallo». Melrose Plant saß neben Macalvie, und der war betrunken. «Na, wie wär’s mit einer von Ihren noblen Zigarren, Sportsfreund?» sagte er zu Plant. Und als Wiggins den Mund aufmachte, sagte er: «Maul halten.»
    Freddie stellte Macalvie sein Bier hin und sagte in die Runde: «Bringt nix, sich mit Macalvie

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