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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Gouvernante auszusuchen, einfach nicht gewachsen.»
    «Lady Jessica war wohl nicht gerade ein As in Sachen Menschenkenntnis.»
    Ashcroft lächelte erneut. «Ganz im Gegenteil, ein Superas. Sie hat immer die genommen, die am wenigsten taugte.»
    Macalvie runzelte die Stirn. «Als Gouvernante?»
    «Nein. Als Ehefrau. Jess hat Angst, daß mich eine Jane Eyre einfängt.»
    «Und daß Sie in Wirklichkeit Rochester sind», sagte Macalvie. «Sie glauben also nicht, daß tatsächlich Gefahr besteht, Sie könnten heiraten?»
    «Die Ehe ist mir nie als Gefahr erschienen. Vermuten Sie bei mir etwa irgendeine sexuelle Perversion? Daß ich alle paar Monate nach London fahre, um meinen abartigen Gelüsten zu frönen?»
    Macalvie bewegte seine Zigarre von einem Mundwinkel zum anderen. «Wir haben eigentlich nicht gedacht, daß Sie in einem Kellerlaboratorium verschwinden, dort was trinken und sich in Hyde verwandeln, nein, wirklich nicht.»
    «Superintendent –»
    «Chief.» Macalvie lächelte.
    «Verzeihung. Sind Sie immer noch verärgert, weil Jessica die Polizei mit einer List hergelockt hat?»
    «Nein, zum Teufel, so sind Kinder eben. Sie haben im Ritz gewohnt, ja? Vom Zehnten bis zum Fünfzehnten?»
    «Ja. Was hat das –»
    «Sie haben mehrere Vorstellungsgespräche geführt?»
    Robert Ashcroft nickte und runzelte die Stirn.
    «Was haben Sie sonst noch gemacht?»
    «Nicht viel. Habe mir in Hampstead einen Rolls angesehen. War aber nicht das, was mir vorschwebte.»
    «Und –?»
    Ashcroft war aufgestanden und warf seine Zigarette in den Kamin. Das Porträt seines Bruders hing über ihm. Jury hätte gern gewußt, ob ihm das zu schaffen machte. «Ich bin ins Theater und die Tate Gallery gegangen. Bin im Regent’s Park und in Picadilly herumgebummelt. Was soll das Ganze?»
    «Was haben Sie gesehen?»
    Jetzt wunderte sich Ashcroft nicht mehr, jetzt war er ärgerlich. «Tauben.»
    «Sehr komisch. Das Stück, meine ich.»
    « The Aspern Papers . Mit Vanessa Redgrave.»
    «War es gut?»
    «Nein. Ich bin gegangen, ich konnte es einfach nicht bis zum Ende aushalten.»
    «Aber, aber, wer läßt schon eine Vanessa Redgrave sitzen?» fragte Macalvie ironisch.
    «Es war ja nicht wegen einer anderen.»
    «Waren Sie der einzige, der Vanessa sitzengelassen hat?»
    «Darum habe ich mich nicht gekümmert. Nur um meinen Mantel», sagte Ashcroft bissig.
    «Da Sie vermutlich der einzige sind, der früher gegangen ist, dürfte sich die Garderobenfrau an Sie erinnern.»
    Ashcroft kochte vor Wut: «Was zum Teufel soll das Ganze, Chief Superintendent Macalvie?»
    «Was gab’s in der Tate Gallery zu sehen?»
    «Bilder.»
    Es war gar nicht so leicht, Ashcroft aus der Fassung zu bringen, merkte Jury.
    «Mr. Ashcroft, unterlassen Sie bitte Ihre Scherze. Was gab’s in der Tate Gallery zu sehen?»
    «Die Präraffaeliten.»
    Macalvie schwieg und spielte mit seiner Zigarre.
    «Schon mal davon gehört?»
    «Rossetti und seine Jungs», sagte Macalvie. «Sind mir bekannt. Warum sind Sie nicht mit dem Auto nach London gefahren, Sie haben doch genug davon?»
    «Das liegt wohl auf der Hand. Ich wollte schließlich ein Auto kaufen – den Rolls.»
    Jury rauchte und sagte nichts. Robert Ashcroft hatte auf jede Frage eine Antwort, und das wußte Macalvie.

26
    «S CHLUSS FÜR HEUTE ABEND .» Sara klappte das Buch zu. Sie lagen auf Jessies Bett, da sich Jessie ihre Gute-Nacht-Geschichte nicht im Laura-Ashley-Zimmer hatte vorlesen lassen wollen. Jessie war mittlerweile so müde, daß ihr Kopf beinahe auf Saras Arm gerutscht wäre. Sie gab sich einen Ruck. Sara sollte sich ja nicht einbilden, daß sie sich an sie herankuscheln wollte. «Die beste Stelle haben Sie ausgelassen. Wo Heathcliff Cathys Leiche durch die Gegend schleppt.»
    «Du hast aber eine makabre Ausdrucksweise!»
    «Hab ich das etwa geschrieben?» hielt Jessie dagegen. Saras Einwurf hatte sich ganz nach einem Rüffel angehört, wenn auch nach einem eher kleinen. Jess gab Henry, der am Fußende des Bettes lag, einen sanften Tritt. Wenn sie schon ausgeschimpft wurde, dann sollte Henry auch sein Fett abbekommen. Was ihr aber eigentlich zu schaffen machte, war etwas ganz anderes, daß sie nämlich Sara ganz gegen ihren Willen allmählich liebgewann. Die selbstlose Sara. Jessie seufzte. Aber Molly Singer mochte sie vielleicht noch lieber. Möglicherweise, weil Molly, genau wie sie, Ängste hatte, diese aber niemals jemandem eingestehen würde. Jessie seufzte.
    Eine scheußliche Klemme, jemanden zu mögen,

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