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Inspektor Jury schläft außer Haus

Titel: Inspektor Jury schläft außer Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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gesehen und mir davon erzählt.»
    «Bis zu dem Gasthof war es dann ungefähr noch ein Kilometer», schätzte Jury. «Sie hätten das in ein paar Minuten geschafft.»
    «Ja, wenn ich gewollt hätte. Ich kann diese gräßliche Willypoole nicht ausstehen, aufgetakelt wie sie ist. Aber was kann man von so einer schon erwarten.»
    Jury unterbrach sie. «Theoretisch können Sie also gegen halb elf hier losgefahren und noch vor zwölf am Schwanen gewesen sein.» Jury wartete darauf, daß sie begriff.
    Sie begriff jedoch nicht. «Warum hätte ich das tun sollen?»
    Jury unterdrückte ein Lächeln. «Also, eine gute Nachricht habe ich für Sie.» Er blickte auf das Stück Papier, auf dem er die Zeiten überschlagen hatte. «Aber ich möchte, daß niemand davon erfährt», flüsterte er.
    Sie lag beinahe auf dem Schreibtisch, so begierig war sie, das Geheimnis zu erfahren. «Meine Lippen sind versiegelt.» Sie legte einen aus dem Handschuh ragenden Finger auf ihren Mund.
    «Es gibt eine Person in Long Piddleton mit einem absolut hieb- und stichfesten Alibi.» Er lächelte.
    Agatha reckte den Kopf wie ein großer Vogel und plusterte sich auf. «Das bin natürlich ich.»
    Jury blickte sie mit gespielter Verwunderung an. «Oh, nein, Gnädigste. Ich hab Ihnen das doch gerade eben vorgerechnet. Die Zeiten, überlegen Sie doch! Nein, es ist Melrose Plant.» Er setzte sein gewinnendes Lächeln auf. «Ich wußte, daß Sie das freuen würde.»
    Ihr Mund klappte auf und zu. Ihr Gesicht war puterrot. «Aber –»
    «Wie Sie wissen, war Mr. Plant von elf Uhr dreißig bis zu dem Zeitpunkt, als Sie wieder zurückkamen, mit mir zusammen. Und Vorher war er mit Ihnen zusammen.»
    Sie spielte an ihrem Stock herum, zog an den Enden ihrer Handschuhe und blickte verstört um sich. Dann fing sie an zu strahlen. «Aber dann habe ich ja auch ein Alibi!» Der Stolz auf ihren Scharfsinn stand ihr im Gesicht geschrieben, als sie das Kinn in die Hand legte und die Ellbogen auf den Schreibtisch aufstützte.
    «Wie kommen Sie darauf. Creed wurde zwischen halb elf und zwölf ermordet. Und wir wissen auch, wann Sie von Ardry End losgefahren sind und wie lange Sie bis zu dem Gasthof gebraucht hätten –»
    Endlich dämmerte es ihr. Er beobachtete, wie die Röte sich auf ihrem Hals und ihrem Gesicht ausbreitete. Sie baute sich vor ihm auf. «Wäre es das jetzt, Inspektor?» Ihre Stimme bebte, und er wußte ganz genau, was sie am liebsten mit ihrem Stock getan hätte.
    «Für den Augenblick, ja. Aber halten Sie sich bitte für weitere Fragen bereit.» Jury lächelte strahlend.
    Kaum war ihre voluminöse Gestalt aus der Tür, drehte er sich nach dem Fenster hinter ihm um und lachte.

    Da er immer noch lauthals lachte, hörte er kaum, wie die Tür hinter ihm auf und zu ging. Erst als er die Stimme hörte, blickte er sich um.
    «Inspektor Jury?»
    Ohne einen klaren Gedanken fassen zu können, fuhr er herum, das Gesicht immer noch zu einem Grinsen verzogen.
    «Ich bin Vivian Rivington. Ihr Wachtmeister sagte mir, ich solle hereinkommen.» Sie schaute ihn mit gerunzelter Stirn ratlos an.
    Jury stand einfach nur da, idiotisch lächelnd und unfähig, sich zu rühren. Er hatte nur einen Blick auf Vivian Rivington geworfen und sich Hals über Kopf in sie verliebt.

    Es stimmte, daß sie einen dunkelbraunen Pullover mit einem Gürtel trug, wie Lady Ardry gesagt hatte, aber die Hände hatte sie nicht zu Fäusten geballt. Sie zerknautschten vielmehr – ähnlich wie die kleine James das zu tun pflegte – den Saum ihres Pullovers. Ihre Farben waren die eines Herbsttages, lohfarben und tiefgolden, mit einem rötlichen Schimmer wie eine Abendlandschaft. Ihr karamelfarbenes Haar glänzte seidig; das Gesicht war dreieckig und ohne Make-up; die Augen waren bernsteinfarben und wie Halbedelsteine in sich gesprenkelt. Vor allem war es aber ihre Ausstrahlung, die ihn an Maggie erinnerte: eine Trauer, die ihr seltsamerweise etwas Leuchtendes verlieh. Auf ihn wirkte sie charismatisch.
    Ihr verlegenes Hüsteln brachte ihn aus weiter Ferne zurück. Jury ging um den Schreibtisch herum, streckte seine Hand aus, zog sie zurück und streckte sie dann wieder aus. Sie starrte zweifelnd darauf, als würde er sie gleich wieder zurückziehen und sie ins Leere greifen lassen.
    Jury versuchte gerade, sich zu zwingen, ihr seine Fragen zu stellten, überhaupt etwas zu sagen, als Wiggins den Kopf durch die Tür steckte und Mr. Matchett ankündigte. Jury sagte: «Danke. Ich werde gleich mit ihm

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