Inspektor Jury spielt Katz und Maus
vorbeizugehen, machte er einen Schritt zur einen und dann zur anderen Seite. Sie blieb einfach stehen und starrte geradewegs durch ihn hindurch. Eigentlich müßte man einen Schleimer wie Donaldson mit der Hand durchstechen können. Wenn er keine Seele hatte, warum sollte er dann einen Körper haben?
Noch nie hatte sie jemanden so unnatürlich und verzerrt lächeln sehen. Er griff nach der Tragetasche, die sie schnell hinter ihrem Rücken versteckte.
Lüstern musterte er sie von Kopf bis Fuß und sagte: «Wenn du dich ein bißchen zurechtmachtest, Mädchen, wärst du eine wahre Augenweide.»
Sie schwieg und rührte sich nicht.
«Hast du nichts anderes zum Anziehn als dieses beschissene verschossene Kleid? Man sieht ja gar nichts.»
Er wollte sie um jeden Preis provozieren. Aber sie blieb einfach stehen und starrte ihn an.
«Mir macht es nichts aus, den ganzen Tag hier zu stehen.»
So wie sie ihn kannte, hatte er nicht die Geduld, auch nur eine Minute länger hierzubleiben.
Und tatsächlich. Haßerfüllt sagte er: «Du hältst dich wohl für eine richtige Prinzessin, was? Nur weil du bei der bekloppten Alten, der Baronin, wohnst.» Dann schubste er Carrie mit der Schulter aus dem Weg, als sei der Bürgersteig nicht groß genug für sie beide.
Sie dachte daran, wie anders Donaldson in Gegenwart von Sebastian Grimsdale war: klebrig-süß wie ein Karamelbonbon.
Sebastian Grimsdale gehörte zu den Lieblingsgästen der Baronin. Nicht, daß sie ihn besonders mochte, aber es gefiel ihr, wie er sich immer in Pose warf. Stets fühlte er sich in ihren albernen Salons als prominentester Gast.
Sie ging den Fluß am Dorfrand entlang und gelangte zum alten Spielhaus hinter dem «Hirschsprung». Das Gebäude war aus zwei unterschiedlichen Steinarten erbaut worden. Inzwischen hatte John MacBrides junge Frau ein Gästezimmer eingerichtet, wodurch die Kneipe zum Gasthof avanciert war. Sally MacBride war auch so eine, mit der Carrie sich eigentlich nicht abgab, denn sie verbot ihrer Nichte, Haustiere zu halten. Aber Carrie hatte eine Idee.
Das Spielhaus für die Kinder wurde kaum noch benutzt. Es war klein und hatte keine Fenster, doch als Carrie jünger war, hatte sie immer gern darin gespielt. Hinter dem Gasthaus war ein großer Garten, sogar ein Kräutergarten mit Pfefferminze und Flohkraut. Und Lupinen, fast so groß wie Carrie, Rosen, Tausendschön und alles, was dazugehört, «kunterbunt durcheinandergepflanzt» (sagte die Baronin), «ohne auf Stil und Harmonie zu achten, und man kann sich nicht einmal darin ergehen».
Carrie begriff nicht recht, warum ein Garten nur gut war, wenn man sich «darin ergehen» konnte, aber weiter reichte die Phantasie der Baronin wahrscheinlich nicht. Sie sah sich immer nur mit Sonnenschirm am Ufer eines spiegelglatten Teiches flanieren, unter einem weißen Rosenbusch wandeln oder anmutig auf einer der vielen weißen Eisenbänke ruhen. Einmal hatte Carrie sie ausgestreckt neben einer Ligusterhecke gefunden, voll wie eine Haubitze.
Der Kater war so ruhig, daß Carrie in die Tragebox schaute, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Er döste friedlich vor sich hin. Trotz Dr. Flemings Bemühungen, man wußte ja nie. Der Tod lauerte schließlich überall.
Carrie begriff einfach nicht, wie ein Tierarzt, dessen Aufgabe es doch war, sich um Tiere zu kümmern und ihnen das Leben zu retten, im Rumforder Labor arbeiten konnte.
Das Labor lag fast zwei Kilometer von Ashdown Dean entfernt, eine lange, flache, graue Festung, die von einem niedrigen Zaun umgeben war. In Carries Augen ein richtiger Schandfleck.
Einmal war sie zu einer Demonstration gegangen, aber sie hatte nur zugeschaut. Tierschützer hatten das Labor in Brand gesteckt, was Carrie widersinnig fand. Ein paar Kaninchen waren an Rauchvergiftung gestorben. Und ganz davon abgesehen: Sachen einfach abzufackeln, wenn sie einem nicht passen, war gegen ihre Prinzipien.
Sie marschierte weiter auf das «Haus Diana» zu, trat abgefallene Blätter hoch und wünschte, sie könnte sie zu einem großen Haufen zusammenschieben und kopfüber hineintauchen. Sich ganz zudecken und eine Weile dort verstecken. Ihr Arm schmerzte von dem Gewicht des Katers. Am Fluß stand eine alte Eiche, die aussah, als sei sie vom Blitz gespalten worden. Dabei war der Baum so gewachsen. Carrie hatte ein kleines Sitzbrett zwischen die sich gabelnden Stämme gelegt. Sie saß gern in dem Baum.
Eigentlich sollte sie den Kater zu dem Gast zurückbringen, aber nach
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