Inspektor Jury spielt Katz und Maus
Herrenhaus alten Stils, vielleicht ein Pfarrhaus gewesen, mit Flügelfenstern in der grauen, efeuüberwachsenen Fassade. Aber dann waren Türmchen, Erkerfenster und sogar Fenster hinzugefügt worden, die wie Kathedralenfenster aussahen und mit einem bemalten Gesims gekrönt waren wie ein Kuchen mit einer Glasur. Im Grunde paßte nichts zusammen: Englische, italienische, mittelalterliche und kirchenbauliche Einflüsse wetteiferten auf geradezu haarsträubende Weise miteinander.
Als Jury aus seinem Vauxhall stieg, sah er, daß sich hinter dem Haus ein riesiger italienischer Garten erstreckte. Da waren eine Statue, eine pagodenähnliche Brücke, eine korinthische Säule. Und all die Wunderwerke in Haus und Garten, über die er trotz des Anlasses für seinen Besuch am liebsten gelacht hätte, waren offenbar seit Jahren nicht mehr gepflegt worden. Efeuzweige krochen über den Boden, überall war das Gemäuer zerbröckelt, Zweige lagen herum. Und durch die Risse um die Fenster pfiff wohl jeder kleinste Windstoß ins Haus …
Ein Hausmädchen mit einem kecken Häubchen, das sie sich wohl zur Feier des Tages schnell aufgesetzt hatte, nahm auf einem angelaufenen Silberteller Jurys Visitenkarte entgegen.
Während er auf die Audienz bei der Baronin wartete, sah Jury sich in dem weiträumigen Korridor um. Auch hier befanden sich England, Griechenland und Italien in einem edlen Wettstreit. Zwischen dunklen Holzbalken standen auf Säulen griechische Büsten (was ihn unangenehm an die Köpfe erinnerte, die einst auf dem Traitors’ Gate im Tower aufgespießt wurden). Die Decken zierten Cupidos und Girlanden aus Stuck. Der Boden war aus grünem Marmor, der breite Treppenaufgang aus Mahagoni. In «La Notre» ersetzte Geld den Mangel an Geschmack.
Jury wurde in einen riesigen Raum zu seiner Rechten eingelassen, der stilistisch wiederum in krassem Gegensatz zum Korridor stand, er war luftig und hell und voller Grünpflanzen wie ein großer Wintergarten. Links und rechts an der Wand zwei identische Trompe-l’œil-Fresken. Sie schienen sich gegenseitig zu spiegeln, und auch der Raum dazwischen wirkte wie eine Spiegelung – in der Mitte stand ein Marmorkamin, links und rechts davon öffnete sich eine Verandatür auf zwei gepflasterte Wege, die in die weiten Gartenanlagen führten. Jury blinzelte. Es war schlimmer, als doppelt zu sehen.
«Ganz schön verwirrend, was?» sagte die Frau auf der grünen, mit Seidenmoire bezogenen Chaiselongue (die zu ihr, aber nicht zu dem mit Pflanzen vollgepfropften Zimmer paßte).
Ihr Lächeln war so trügerisch wie die Zwillingsfresken. Jury lächelte ebenfalls. «Sind Sie Baronin Regina de la Notre?»
«Nein. Ich bin ihr Double. Alles doppelt gemoppelt. Ist das nicht großartig?»
«Mag sein. Aber ich bin allein.»
«Schade», sagte sie und musterte ihn von oben bis unten. Dann schaute sie auf die Visitenkarte in ihrer Hand. «Kein Geringerer als ein Superintendent.» Sie wedelte mit der Karte und bat ihn, sich zu setzen.
Ihr Kleid paßte nicht zu der frühen Stunde. Es war voller Pailletten und blutrot wie ihr Lippenstift und das Rouge, ein aggressiver Ton. Sie hatte hohe aristokratische Wangenknochen.
«Ein Superintendent von Scotland Yard. Ich bin beeindruckt.»
Offenbar war die Baronin sonst nicht leicht zu beeindrucken.
Ihr Lächeln war ein wenig unangenehm, nicht, weil sie unangenehm war, sondern weil sie schlechte Zähne hatte. Zu viele Zigaretten und – zuviel Gin, vermutete er, als er beim Händeschütteln ihre Fahne roch. Sie sah auf die Wand hinter ihm und sagte: «Der Baron – mein verstorbener Mann – mochte diese spezielle Schule französischer Malerei.»
Ja, dachte Jury, und noch ein paar andere Schulen dazu …
Sie beugte sich vor und bot ihm eine Zigarette an – ganz prosaisch aus einer verknitterten Packung, nicht etwa aus einem goldenen Etui. «Sie kommen bestimmt wegen Una Quick. War ja wohl mitnichten ihr Herz, oder? Ermordet worden ist sie, richtig? Nicht überraschend, was? Weil sie immer ihre Nase in die Post anderer Leute gesteckt hat, stimmt’s …?»
Jury unterbrach sie: «Wie kommen Sie darauf, daß Una Quick ermordet wurde?»
«Na, weil Sie hier sind.»
Wieder lächelte Jury, und nichts an diesem Lächeln pflegte Zeugen oder Verdächtige argwöhnisch zu machen. Es war weder zynisch noch hinterhältig, so daß sie sogar Vertrauen zu ihm faßten. «Ich bin wegen einer Freundin hierhergekommen», sagte Jury.
Regina de la Notre hörte auf zu
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