Inspektor Jury spielt Katz und Maus
verschafft mir eine gewisse Überlegenheit, wenn sie kommen und sich über Carrie beschweren. Den hiesigen Tierschutzverein. Sie hat die Laube des Barons in ein Tierasyl verwandelt. Ich mag keine Tiere. Ich habe Carrie vor dem Silbermarkt in der Chaucery Lane gefunden.»
An den Verandatüren erschienen plötzlich wie Traumgestalten ein Mädchen und eine Frau. Wieder dachte Jury, er sähe doppelt: Es war, als seien sie dem Fresko entstiegen. Als sie Jury bemerkten, blieben beide stocksteif stehen, beide einen Fuß genau auf der Türschwelle.
Regina drehte den Kopf und sah von einer zur anderen, als wären sie in eine Party hineingeplatzt. «Ach, ihr seid es. Gillian Kendall, Superintendent Jury.»
Die Frau kam herein, streckte die Hand aus. In der anderen hielt sie ein paar Herbstastern. «Guten Tag.»
«Wie immer originell, Gillian.»
Gillian Kendall schenkte ihrer Arbeitgeberin ein winziges Lächeln, als sei sie es gewöhnt, herablassend behandelt zu werden. Obwohl sie keine Schönheit war, konnte Jury nicht anders, er mußte sie anstarren. Bis auf ihre griechische Nase hatten ihre Züge nichts Besonderes – Mund zu breit, Augen zu eng beieinander. Aber Haare und Augen glänzend braun – das Haar eher kastanienfarben –, und die Schlichtheit ihres beinahe prüden grauen Kleides mit dem hohen Kragen und den langen Ärmeln betonte ihre Figur. Er fragte sich, ob sie das wußte. Er beobachtete, wie sie die vom Frost braunen Blumen in einer Vase arrangierte. Keine Schönheit, aber die sinnlichste Frau, der Jury seit langem begegnet war.
Er drehte sich um und sah, daß das Mädchen ihn anstarrte. Sie hatte sich von der Verandatür nicht wegbewegt, reglos stand sie da.
«Steh nicht da wie eine Salzsäule, Carrie.» Regina winkte sie ungeduldig ins Zimmer. «Carrie Fleet, Superintendent.» Und zu Carrie Fleet gewandt: «Superintendent Jury ist von Scotland Yard.»
Carrie reagierte weder überrascht noch erfreut oder verlegen. Aber sie kam herein. Nicht, dachte Jury, weil es ihr befohlen worden war; sie kam und ging offenbar, wie es ihr paßte. Sie gab ihm auch nicht die Hand. Als sie ins Zimmer trat, verspürte Jury eine Bewegung in der Luft, eine plötzliche Veränderung in der Atmosphäre – eine Art Pause. Gillian hörte auf, den armseligen Strauß Blumen zu arrangieren; Regina zog ihre Decke ein bißchen fester um sich. Und die ganze Zeit richtete Carrie ihre blaßblauen Augen auf Jury.
«Herr im Himmel, Mädchen, sag wenigstens guten Tag.»
«Guten Tag.» Weiter sagte sie nichts. Es war, als schiebe sie sich vorsichtig von Schützengraben zu Schützengraben. Jury fragte sich nur, in was für einer Schlacht sie eigentlich kämpfte. Ein einziges Mal bewegte sie sich: Sie legte sich ihr langes Haar über die Schulter. Platinblondes Haar, bei dem man sich vorstellen konnte, daß es sich über Nacht in reines Silber verwandelte. Sie war ein Wunder an Selbstbeherrschung, und es war, als beherrschte sie in diesem Moment sogar den Raum. Unwillkürlich schaute Jury, ob die Uhr stehengeblieben war.
Carrie sagte der Baronin, sie brauche Geld für Hühnerfutter, drehte sich um und ging durch die Verandatür wieder hinaus.
Regina goß sich noch Tee und Gin nach und sagte: «Wirklich eine Strafe, dieses Mädchen.»
Gillian lächelte die Vase an. «Sie ist die einzige, die Sie mögen, und das wissen Sie.» Dann entschuldigte sie sich und ging in den Korridor.
«O Gott», sagte Regina und steckte sich noch eine Zigarette in die Spitze, «können Sie sich vorstellen, wie lebhaft wir uns immer beim Essen unterhalten?»
«Sowohl Carrie als auch Gillian scheinen ziemlich schüchtern zu sein.»
Aber Regina widersprach: «Carrie ist bestimmt schon fünfmal auf unsere Polizeiwache beordert worden.»
«Warum?»
«Weil sie unbedingt im Dorf überprüfen muß, welche Katzen und Hunde bekommen, was sie brauchen, und welche Tiere in den letzten Zügen liegen. Sie hat Samuel Geesons Töle, die er im Hinterhof angekettet hielt, losgemacht, ihn zu Paul Fleming geschleppt und den dazu gebracht, den Tierschutzverein zu benachrichtigen.» Regina rollte die Asche von ihrer Zigarette. «Ich habe sie in London gefunden. Sie lebte bei einem Ehepaar Brindle. Die Brindles wiederum haben sie gefunden, als sie in einem Waldstück in der Hampstead Heath herumgeisterte. Sie meinten, sie habe einen Gedächtnisverlust erlitten. Die Brindles wußten, wie man auf Staatskosten lebt. Eintausend Pfund habe ich ihnen gegeben, und jetzt setzen sie
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