Inspektor Jury spielt Katz und Maus
die Daumenschrauben an und wollen mehr. Warum sie glauben, mich erpressen zu können, ist mir schleierhaft. Sie könnten natürlich behaupten, ich hätte sie entführt.» Regina zog eine Braue in die Höhe. «Allerdings bin ich der Auffassung, eine Entführung reicht für ein Kind, finden Sie nicht?»
Sie langte nach einem Majolikakrug und zog einen Brief heraus. «Hier, lesen Sie mal. Vielleicht können Sie da was tun.»
Was auf den zwei Seiten stand – sie waren ziemlich schmuddelig und der Absender war des Schreibens offenbar kaum mächtig –, klang zunächst weinerlich und dann honigsüß. Jury sagte: «Sie haben mir nicht gesagt, daß Carrie mal einen schweren Schlag auf den Kopf bekommen hat.»
«Lieber Superintendent, ich wußte es ja selbst nicht. Es soll vermutlich den Gedächtnisverlust erklären. Ich glaube, sie wollen nur auf die Tränendrüsen drücken.»
«Ein ziemlich seltsamer Brief.» Jury drehte die Seiten um. Leer.
«Die Brindles haben ihre seltsamen kleinen Marotten, das kann ich Ihnen sagen.»
«‹… deshalb haben wir gedacht, in Anbetracht der Anlage, fünfhundert könnten Sie wohl noch erübrigen. Ich verbleibe mit vorzüglicher Hochachtung …›, und dann eine schwungvolle Unterschrift. Was meint er damit?»
Emsig mit dem Gin beschäftigt, sah Regina Jury an. «Daß er fünfhundert Pfund will, Superintendent. Das hat selbst mein Matschhirn daraus gelesen.»
«Was dagegen, wenn ich den behalte?»
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. «Keineswegs. Die arme Carrie. Noch nicht mal ihr Name ist echt. Wirklich, ich habe sie ohne jedes Dokument bekommen.»
«Das hört sich ja an, als sei sie ein Rassehund mit zweifelhaftem Stammbaum.»
Sie lachte. «Ach, Carrie würde nichts besser gefallen als ein solcher Vergleich.»
«Was ist mit Gillian Kendall?» fragte Jury.
«Sie kommt aus London und trank morgens ihren Kaffee im Café um die Ecke, als sie ein Gespräch mithörte, daß ich eine Sekretärin suche. Kaum zu glauben, aber ich langweilte mich ja schon langsam, und als sie vor sechs Monaten die Auffahrt heraufkam, sagte ich sofort ja. Eine Anzeige aufzugeben und halb Hampshire auf der Matte zu haben, hätte ich nicht ausgehalten. Aber ich weiß nicht so genau, ob ich sie leiden kann. Ich mag Leute nicht, die auf Zehenspitzen rumlaufen und immer etwas in der Hand haben – ob Vasen, Karaffen oder Blumen. Wer weiß, vielleicht ist ein Messer drin, oder ein Gewehr?»
17
S CHWER VORSTELLBAR , daß Gillian Kendall unter ihrer Strickjacke, die sie immer wieder fest um sich zog, ein Messer oder ein Gewehr verbergen sollte.
Sie gingen zwischen den Ligusterhecken des Irrgartens spazieren. Ein weiterer kleiner Scherz vom Baron, wie sie ihm erzählte. «Er ist sehr sorgfältig angelegt», sagte Gillian Kendall.
«Sind das nicht alle Irrgärten?» Jury fand, daß Regina Gillian Kendall vollkommen falsch charakterisiert hatte. Weder schlich sie auf Zehenspitzen, noch wirkte sie nervös. Im Gegenteil, sie machte auf Jury einen sehr beherrschten Eindruck. Harmonisch. Wie ein Stilleben, hätte ein Maler vielleicht gesagt. Ein Extrastrich mit dem Pinsel hier und da hätte den viel zu blassen Wangen Farbe verliehen, den Augen ein wirkungsvolles Funkeln.
«Er ist ziemlich vertrackt», erzählte sie weiter. «Zum einen ist er rund. Man hat unweigerlich den Eindruck, immer im Kreise zu gehen.»
«Im übertragenen Sinne tut man das ja auch oft.»
Sie blieb stehen und sah ihn an. Einen Augenblick lang dachte er, sie würde endlich auf den Punkt kommen. Sie sagte aber lediglich: «Ich habe mich mehrere Male hier verlaufen. Der Baron wollte offenbar sichergehen, daß seine Frau nicht wieder hinauskonnte, wenn sie einmal hier drin war. Oh, das war kein böser Wille. Beileibe nicht. Er spielte einfach gern. Hier wollte er wohl seine Schäferstündchen abhalten.» Gillian sah weg. «Komisch. Sie spricht immer noch mit erstaunlicher Zuneigung über ihn. Ich hatte gedacht, sie hätte ihn nur des Geldes wegen geheiratet.»
«Dann gehe ich also recht in der Annahme, daß Sie sie nicht besonders mögen.»
Ein Windstoß fuhr ihr durchs Haar. Sie zog die Strickjacke fester um sich, wobei sie die kleine Reihe Knöpfe verdeckte, die ihr adrettes Kleid hochmarschierten, und sagte: «Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Sie ist wie ein Wein, der nicht gut gealtert ist.» Gillian lachte. «Ein fünfundsechziger Bordeaux vielleicht.»
«Ein schlechter Jahrgang?»
Sie schwieg und zupfte an der Hecke. «Ein
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