Inspektor Jury steht im Regen
dem Kamin abspielte. Agatha spielte ihre Rolle sehr viel schlechter als Vivian. Melrose lächelte dem vertrauten Trio am Erkerfenster zu. Vivian erwiderte sein Lächeln und hob sogar freundlich-drohend den Finger. Vielleicht lag ihre Abneigung, den Kanal zu überqueren, in dem tiefverwurzelten Bedürfnis, die kleine Gesellschaft zusammenzuhalten. Wohlwollend strahlte sie Lucinda an. Er musterte das Mädchen. Schweigend stimmte er Vivian zu, daß Lucinda St. Clair wohl nie eine Party sprengen würde.
M ELROSE SASS AN DIESEM SCHÖNEN Dezembermorgen am Rosenholztisch und hatte neben seinem Teller mit Eiern die Times aufgeschlagen. Er trug zwei senkrecht und eins waagrecht ein. Aber er war nur mit einem Teil seiner Gedanken beim Kreuzworträtsel; der Rest konzentrierte sich auf das mit Richard Jury geführte Telefongespräch, bei dem Jury ihm geraten hatte, doch auf jeden Fall nach Somers Abbas zu fahren. Einen Bekannten zu haben, der mit der Familie Winslow bekannt sei, könne außerordentlich hilfreich sein. Und für all die Unterstützung in der Vergangenheit, tja, dafür, fand Jury, verdiene er eigentlich die Ritterwürde. Ein bißchen überflüssig vielleicht, aber dennoch …
«Ich bezweifle, daß Chief Superintendent Racer das mit der Ritterwürde ebenso sieht. Ich bezweifle überhaupt, daß Racer begeistert ist …»
Melrose blickte über den Tisch zu den Terrassentüren hinaus, die man an diesem für die Jahreszeit viel zu warmen Wintertag geöffnet hatte. Die cremefarbenen Vorhänge blähten sich leicht im Wind. Hinter der Tür konnte er ein Stück des serpentinenartigen Pfads erkennen, der sich über das ganze Grundstück hinabwand und den er so gerne entlangspazierte. All der Grund und Boden da draußen – der ausgedehnte Garten, die silberne Eiskruste des Sees, die Eibenhecken und die Weiden – erinnerten ihn an den Spaziergang, den er auf Lady Janes Fest mit Lucinda St. Clair gemacht hatte. Melrose konnte sich dabei vorstellen, wie Sybil St. Clair die ganze Zeit mit der Geduld eines auf einem Ast liegenden Pumas zusah und auf die geringste Bewegung der Beute lauerte. Dieses Mitleid mit Lucinda war zum Verrücktwerden, aber nicht zu ändern. Sie war natürlich begeistert, daß er gekommen war. Und trotz der Einwände ihrer Mutter hatte Melrose auf einem Zimmer im Gasthof bestanden.
Seufzend sah er auf und ließ den Blick über die Wände und die Porträts wandern, die dort in so stattlicher Prozession hingen, als befände sich der ganze Haufen auf dem Weg zur Westminster Abbey. Viscount Nitherwold, Ross and Cromarty, Marquess of Ayreshire and Blythedale, Earl of Caverness … man konnte sie kaum aufzählen, ohne zwischendurch mal eine Pause zu machen und einen harten Drink zu nehmen. Schließlich verweilte sein Blick auf dem Porträt seiner Mutter, einer der schönsten Frauen, die er je gesehen hatte, und auf der die Adelskrone zuletzt entsetzlich schwer gelastet haben mußte. Gedämpftes Sonnenlicht fiel in tanzenden Pailletten auf ihr blaßgoldenes Haar, und aus jedem ihrer Gesichtszüge blitzte der Humor.
Er lächelte. Seine Mutter, wenn nicht sogar die Königin, wären bestimmt begeistert gewesen …
«Noch einen Kaffee, M’Lord?» fragte Ruthven, für Plant das Muster eines Kammerdieners, der praktisch schon so lange in der Familie war wie die Porträts an den Wänden. Er hielt die Silberkanne hoch.
Melrose schüttelte den Kopf und legte seinen Schreib-Stift hin. «Nein danke, Ruthven. Ich sollte mich lieber beeilen.» Er steckte seine Goldrandbrille ein und schob den Stuhl zurück.
«Werden Sie den Flying Spur oder den anderen Rolls benötigen, Sir?»
Melrose blickte erneut auf das Porträt Lady Marjories. Lächelte sie? «Wissen Sie, Ruthven, ich finde, daß jeder, der eine solche Frage stellt, erschossen werden sollte.»
7
B EI DER LETZTEN B EGEGNUNG J URYS mit Brian Macalvie hatte Brian Macalvie eine dieser Musikboxen eingetreten. Heute ließ er sie wenigstens nur spielen. Für einen Mann, der wie Birnam Wood dazu neigte, Verdächtige anzubrüllen und seine Männer zu verschleißen, zeigte der Divisional Commander eine bemerkenswerte Vorliebe für alte Songs und sanfte Stimmen. Es war wohl ein von Macalvie ausgewähltes Stück, das jetzt den Running Footman mit seiner geflüsterten tristesse erfüllte.
Während er sprach, hob er kaum einmal den Blick von der Liste der Songs. «Hi, Jury. Hat ja ganz schön gedauert.» Macalvie steckte eine weitere Zehnpencemünze in die
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