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Inspektor Jury steht im Regen

Inspektor Jury steht im Regen

Titel: Inspektor Jury steht im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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ich an einem Auto vorbei …»
    Welch Glück für den Fahrer. Normalerweise fuhr sie ihnen rein. Agatha hatte sich einen alten Morris Minor gekauft, der genauso aussah wie sie: runde Birne und plumpes Gestell.
    «… das gerade aus der Ausfahrt rauskommt, als ich reinfahre. Frau am Steuer, um die Dreißig, braunes Haar, schwarzer Porsche …»
    «Kennzeichen?»
    «Was?»
    «Du hast doch sicher die Nummer, damit wir sie in den Computer von Scotland Yard eingeben können. Die vollbringen heutzutage wahre Wunder, wenn’s ums Auffinden gestohlener Autos geht …»
    «Sei nicht dämlich, Plant. Na ja, sie ist mir glatt davongefahren, ehe ich sie anhalten konnte. Wer ist sie überhaupt? Sieht nicht gerade wahnsinnig gut aus.»
    Sie sagte es mit einer gewissen Erleichterung, als ob die Dame im Porsche damit aus dem Rennen der heiratsfähigen weiblichen Wesen ausscheide. Diese nämlich erschienen Agatha offensichtlich ausnahmslos als Schönheiten, die auf die Familiengewölbe von Ardry End zuhasteten, direkt auf die Chinoiserien, das Kristall, die Queen-Anne-Möbel und die Titel zu, die Melrose wie Blütenblätter in den Staub hatte fallen lassen – Earl, Viscount und Baronet – und die man ja immer noch aufsammeln (so schien sie zu denken) und wieder an die Knospe pappen konnte.
    «Zu dir kommt doch gar keiner um diese Jahreszeit, Melrose.» Sie seufzte und rief noch einmal nach ihrem Sherry. Scroggs blätterte weiter in seiner Zeitung. «Es ist nicht mehr wie früher. Erinnerst du dich noch, wie deine liebe Mutter, Lady Marjorie …»
    Jetzt würde sie wieder anfangen und die Pfade seiner Familienerinnerungen entlangschnüffeln wie ein Schwein, das in den Rosensträuchern wühlt. «Die Coun tess von Caverness, ja. Und mein Vater und mein Onkel Robert. Ich hatte immer ein gutes Gedächtnis für Einzelheiten. Aber was hast du denn in Ardry End gemacht?»
    «Mit Martha über das Weihnachtsessen gesprochen. Sie sagte, ihr hättet euch noch nicht entschieden.»
    «Doch. Falsche Gans und Bettelmänner.»
    «Mein Lieblingsessen!» sagte Marshall Trueblood. «Ich hoffe, wir sind eingeladen.»
    «Natürlich. Immer.»
    «Du willst mich doch bloß veräppeln», sagte Agatha und stampfte mit ihrem Stock auf, um Scroggs von seiner Zeitung loszueisen. «So was gibt es doch gar nicht.»
    «Aber gewiß doch. In Wirklichkeit ist das Rinderleber. Und zum Nachtisch könnt ihr Himbeerquark mit Soße haben. Oder wären euch arme Ritter lieber? Martha hat ein Händchen für arme Ritter.» Melrose gähnte und beobachtete den Jack Russell durch das bleigefaßte Fenster, auf dem in bernsteinfarbenen Buchstaben Hardy’s Crown stand. Der Hund beschnupperte die Füße einer Frau mit braunem Hut, die auf dem Bürgersteig stand und forschend in Truebloods Schaufenster spähte. Melrose kam sie irgendwie bekannt vor.
    «Da ist sie!» schrie Agatha und reckte den Hals, um durch die bleigefaßte Scheibe zu starren.
     
     
     
    «I CH WOLLTE NICHT EINFACH SO reinplatzen», sagte die junge Frau mit dem braunen Hut.
    Das war, dachte sich Melrose und betrachtete das verträumte, linkische Mädchen, genau die Art von Bemerkung, wie man sie sich von Lucinda St. Clair erwartete. Sie gehörte zu den Frauen, die man auch mit Ende Zwanzig oder Anfang Dreißig noch als «Mädchen» bezeichnete.
    «Sie platzen nicht herein!» meinte Vivian und sagte damit zum erstenmal, seit sie gekommen war, etwas Intelligentes.
    Für Melrose hatte Vivian Rivington stets in fast idealer Ausgewogenheit Schönheit, Anmut und Freundlichkeit verkörpert. Ob sie wie jetzt den alten Wollrock und das Twinset trug oder sich in Schale warf, die Trueblood als «die italienische Periode» bezeichnete, sie schien nie zu wissen, was sie mit sich anfangen sollte oder ob ihr die eine oder doch eher die andere Rolle besser zu Gesicht stand. Daher war es keineswegs überraschend, wenn sie jetzt Lucinda St. Clair taxierte und sich wahrscheinlich dachte, daß sie es hier mit einer Frau zu tun hatte, die noch schlechter beieinander war als sie selber, da diese ein noch tristeres Twinset trug.
    «Vielen, vielen Dank», sagte Lucinda mit einem dankbaren Blick, der wohl nicht nur der simplen Geste Truebloods, der ihr einen Stuhl zurechtrückte, galt. Er kannte Sybil St. Clair, ihre Mutter, die gelegentlich etwas bei ihm kaufte. Und das machte es noch schlimmer für Agatha – daß sogar Trueblood die Besucherin auf Umwegen kannte und sie selber keinen Schimmer hatte.
    Lucindas Augen waren groß und

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