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Inspektor Jury steht im Regen

Inspektor Jury steht im Regen

Titel: Inspektor Jury steht im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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halten.
    «Ich kann Ihnen wirklich nicht mehr sagen, als ich Ihnen schon erzählt habe, Superintendent. Auch wenn es mir durchaus nichts ausmacht, es Ihnen noch einmal zu erzählen.» Sie lächelte kühl. «Der Anruf interessiert Sie vermutlich am meisten?»
    «Unter anderem, ja.»
    «David rief mich, ich würde sagen so um elf herum, am Montag abend an.»
    «Und Sie können die Zeit nicht genauer eingrenzen?»
    «Nein. Tut mir leid. Manchmal nimmt der Anrufbeantworter meines Mannes Gespräche entgegen und fragt nach der genauen Zeit. Wenn ich außer Hörweite bin und die Dienstboten nicht da sind, stelle ich auf den Anrufbeantworter um. Aber an diesem Abend war ich zum Lesen in der Bibliothek.» Sie dachte einen Augenblick nach. «Ich würde sagen, zwischen Viertel vor und ein paar Minuten nach elf.»
    «Ein bißchen spät für einen Anruf.»
    Sie lachte. «Nicht für David. Nicht bei uns.»
    «Was wollte er von Ihnen?»
    Mit einem kleinen Lächeln sagte sie: «Geld. Und eine Brust, an der er sich ausweinen konnte, nehme ich an. Wie ich Ihnen schon erzählte: Er hatte Ivy Childess gerade sitzenlassen. Er hatte ihr ständiges Drängen, sie zu heiraten, allmählich satt.»
    «Hatte er denn nie die Absicht, sie zu heiraten?»
    «Das bezweifle ich sehr.»
    «Ihr Bruder scheint ja allgemein von der Ehe nicht viel zu halten?»
    Sie schüttelte den Kopf. «Nein, nur im besonderen. Und ganz speziell hatte er etwas gegen eine Ehe mit Ivy Childess.»
    «Sie kannten sie?»
    Ihre Augenbrauen wölbten sich in gelindem Erstaunen. «Nein. Ich bin ihr wohl begegnet. Aber das ist ja etwas anderes. Es war in unserem Haus in London. Wir hatten ein paar Freunde auf einen Drink eingeladen. Mein Sohn und mein Bruder waren da. Und David brachte Ivy mit.» Sie zuckte die Achseln und fügte hinzu: «Und Lucinda St. Clair, wie ich mich noch erinnere.»
    «St. Clair.»
    «Ja. Sie wohnen am Nordrand von Somers Abbas. Ein ziemlich barockes Haus, das sie The Steeples nennen. Lucinda ist die älteste Tochter, und wir kennen sie schon lange.» Marion legte den Kopf an die hohe Rückenlehne des Sessels und sah zur Decke hinauf. «Eigentlich glaube ich, daß Sie sich mal mit Lucinda unterhalten sollten. Sie hat David sehr gern.» Sie streckte die Hand aus, griff nach einem kleinen Notizbuch und einem goldenen Stift und schrieb rasch etwas auf. «Verstehen Sie mich bitte richtig, ich will damit nicht gerade sagen, daß Lucinda Ihnen einen unbefangeneren Bericht liefern wird. Hier ist ihre Telefonnummer und Adresse. Obwohl Ihnen jeder im Dorf sagen kann, wo die St. Clairs wohnen.» Sie riß eine Seite heraus und legte sie auf den Tisch. Sie saßen zu weit auseinander, als daß sie sie ihm hätte reichen können.
    Marion Winslow war eine praktische Frau, dachte Jury. Verschwendete keine überflüssigen Worte, beschönigte nichts. Eigentlich hatte sie Ähnlichkeit mit einem Fischer. Alles wurde eingeschätzt und gewogen, bevor sie vom Gedanken zur Tat schritt. Behutsam holte sie die Angelschnur ein und wickelte sie auf. «Meinen Sie mit ‹sehr gern haben›, daß sie in ihn verliebt ist?»
    Sie nickte. «Ja, und das ist wirklich ein Jammer. David erwidert ihre Gefühle nicht.» Sie starrte wieder auf die Feuerschatten an der Decke und fügte – doch so, als habe das weiter keine Bedeutung – hinzu: «Ich mag Lucinda.»
    «Sie sind dann also gewissermaßen die Vertraute Ihres Bruders?»
    Wieder nickte sie. «Deswegen war ich ja auch gar nicht überrascht, als er am Montag noch so spät anrief.»
    «Sie erwähnten, Sie hätten etwa zwanzig Minuten miteinander gesprochen. Können Sie das noch genauer sagen?»
    «Nein. Zwanzig Minuten bis eine halbe Stunde.»
    Es würde bedeuten, daß Marr von etwa zweiundzwanzig Uhr fünfzig bis dreiundzwanzig Uhr zehn oder zwanzig in seiner Wohnung war, falls er das Pub genau um Viertel vor elf verlassen hatte und nach Wiggins’ Schätzung in etwa zehn Minuten nach Shepherds Market gegangen war. Wobei ja die meiste Zeit für Ivy Childess’ Ermordung draufging. Kein hieb- und stichfestes Alibi, aber besser als nichts. Natürlich hätte er innerhalb der zwanzig Minuten zwischen der Schließung des Pubs und dem Vorbeikommen der Frau mit dem Hund zum Running Footman zurücklaufen, sie erdrosseln und dann wieder nach Shepherd Market laufen können. Obwohl, zwanzig Minuten, ziemlich schwierig. Bei dreißig wäre es überhaupt kein Problem. Diese zusätzlichen zehn Minuten könnten entscheidend sein. Doch dann bliebe noch

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