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Inspektor Jury steht im Regen

Inspektor Jury steht im Regen

Titel: Inspektor Jury steht im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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die Frage, warum Ivy zwanzig Minuten lang in Hay’s Mews hätte herumhängen sollen.
    «Ihr Mann lebt meistens in London?» fragte Jury behutsam.
    Marion zuckte zusammen. «Ja, das ist richtig.»
    «Aber Sie fahren nicht oft nach London?»
    «Nein.»
    «Mr. Winslow hat eine Art Büro hier?»
    «Ja. Er ist Anlageberater. Ich nehme an, er muß mit den Kunden Kontakt halten.»
    Jury fand, daß dieses «ich nehme an» ganz gut die Beziehung der Winslows charakterisierte. Marion und Hugh waren mit Sicherheit nicht die oder der Vertraute des anderen. Dennoch fragte er: «Mochte Ihr Mann Ivy Childess denn auch nicht?»
    «Ich kann mich nicht erinnern, daß er sich jemals über sie geäußert hätte, wie auch immer.» Sie zuckte die Achseln.
    «Ihr Mann verbringt also die meiste Zeit in London, nicht wahr?»
    «Ja.»
    «Auch wenn er selten kommt, kommt er – sagen wir, regelmäßig?»
    «Nein. Unregelmäßig.»
    «Und Sie, übernachten Sie manchmal dort in Ihrem Haus?»
    Sie schien nachzudenken. «Selten. Häufiger im Claridge. Ich fahre einzig und allein nach London, um David und Ned zu besuchen. Ich will nicht, daß sie sich immer verpflichtet fühlen, hierherzukommen.»
    Jury lächelte. «Falls es zwei Männer gibt, die nicht so aussehen, als erfüllten sie damit eine unangenehme Pflicht, dann sind das David und Ned, würde ich sagen.»
    «Danke. Das klingt ja fast wie ein Kompliment.» Sie schien in die Betrachtung ihrer Hände vertieft. «Sehen Sie – ich bin sicher, Sie verstehen das –, ich habe eine tiefe Abneigung gegen das Haus in Knightsbridge.» Sie sah auf. «Phoebe ist dort gestorben.» Ihr Blick löste sich von Jury und wanderte zum Tisch neben ihm und zu den gerahmten Fotos.
    «Das kann ich durchaus verstehen.» Er folgte ihrem Blick, der zum mittleren Tisch schweifte. In einem altmodischen Walnußrahmen stand da das Foto eines kleinen lächelnden Mädchens, dem der Wind die hellblonden Strähnen ins Gesicht blies. Jury betrachtete es eingehend. «Mir ist da ein Gemälde aufgefallen, ein Porträt über dem Treppenabsatz oben. Ist es von ihr?»
    «Ja. Phoebe und Rose.» Sie sah weg. «Rose war Edwards Frau. Sie ist weggelaufen. Ich wünschte, er würde wieder heiraten. Vielleicht hätte er dann mehr Glück. Wie eine Frau Ned wegen seines Geldes heiraten kann, übersteigt meine Phantasie. Aber sie hat es getan. Sie brachte es fertig, das Konto abzuräumen, ehe sie ohne ein Wort verschwand. Und doch haßt vor allem David das Porträt und nicht Ned. Er sagt mir ständig, ich soll es abhängen. Aber es ist das einzige, das wir von Phoebe haben, und man geht ja nicht her und schneidet irgendwelche Leute aus einem Porträt heraus.»
    Aber man enterbt sie, dachte er. «Sie sagten, Ihr Bruder wollte Geld. War es viel?»
    Sie lachte. «Das tut er ständig. David ist entsetzlich verschwenderisch. Wie er all das Geld ausgeben konnte, das er in den letzten Jahren gekriegt hat, ist mir schleierhaft.»
    «Wie steht es denn mit dem Familienvermögen? Wer erbt was?»
    «Es wurde gleichmäßig auf uns drei verteilt. Es sind so um die fünf Millionen, nehm ich an.» Sie zuckte mit den Achseln, als handle es sich um fünf Pfund. «Allerdings gibt es da einen Zusatz zum Testament: David erbt erst, wenn er heiratet. Unser Vater dachte, er bringt seinen Anteil in einem Jahr durch, wenn er keine Frau hat, die ihm ein bißchen Vernunft beibringt.» Ihre Augen blitzten auf. «Also hätte er doch allen Grund gehabt, Ivy Childess am Leben zu halten, finden Sie nicht?»
    Ihr Blick verweilte auf einem weiteren Foto, das wie eine Vergrößerung des Schnappschusses aussah, den er sich aus Marrs Wohnung ausgeliehen hatte. David und Edward, lauthals lachend. Sie trugen Tennispullover, und Neds Hand umklammerte den Griff eines Schlägers, der hinter seiner Schulter verschwand. Aus der Haltung der beiden erriet Jury, daß sie sich vorher den Arm auf die Schulter gelegt hatten. Einer hatte gewonnen, einer verloren, beide waren zufrieden.
    «Edward mag David sehr, nicht wahr?»
    «O ja. Und, ob Sie’s glauben oder nicht, das beruht auf Gegenseitigkeit.»
    Jury stellte das Foto wieder zurück. «Warum ‹ob Sie’s glauben oder nicht›?»
    «Nur, weil David sich so gerne als Zyniker ausgibt. Nehmen Sie ihm das bloß nicht ab.»
    «Tu ich ja gar nicht.»
    «Weil er leidenschaftlich genug ist, einen Mord zu begehen?»
    «Das habe ich damit nicht sagen wollen.»
    Jury hatte die Fotografie wieder hingestellt. Sie griff nach dem Zettel aus dem

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