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Instrumentalität der Menschheit

Instrumentalität der Menschheit

Titel: Instrumentalität der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordwainer Smith
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verstehen.
    Er drehte sich zum Schlafen – lange nachdem seine Schicht geendet hatte – und murmelte immer und immer wieder: »Veesey, Veesey, beschütze mich vor mir selbst! Was kann ich jetzt tun, jetzt, jetzt, damit ich nicht später etwas Entsetzliches tue? Was kann ich tun? Jetzt fürchte ich mich vor mir, Veesey, und ich fürchte mich vor der Alten Zweiundzwanzig. Veesey, Veesey, du mußt mich vor mir selbst retten. Was kann ich jetzt tun, jetzt, jetzt …?«
    Sie wußte keine Antwort, und als er eingeschlafen war, schlief auch sie. Die gelben Lampen beschienen beide mit ihrem hellen Licht. Die Robotkontrolle stellte fest, daß keines der menschlichen Wesen im Aktivzustand war und übernahm die Überwachung des Schiffes und der Segel.
    Talatashar weckte sie am Morgen.
    Weder an diesem Tag noch an einem der folgenden Tage wurde über die Boxen gesprochen. Es gab nichts zu sagen.
    Aber die beiden Männer beobachteten einander wie feindliche Bestien, und Veesey selbst begann sie zu beobachten. Etwas Falsches und Vitales war in den Raum eingezogen, ein Überfluß an Leben, von dem sie niemals gewußt hatte, daß es existierte. Es roch nicht, sie konnte es nicht sehen, sie konnte es nicht mit den Händen greifen. Es war dennoch etwas Wirkliches. Vielleicht war es das, was die Menschen einst Gefahr genannt hatten.
    Sie versuchte, besonders freundlich zu beiden zu sein. Dadurch ließ sich das Gefühl in ihr verdrängen. Aber Trece wurde mürrisch und rachsüchtig, und Talatashar lächelte sein verlogenes, schiefes Lächeln.
     
     
4
     
    Die Gefahr traf sie überraschend.
    Talatashars Hände umklammerten sie und zerrten sie aus ihrer Schlafbox.
    Sie versuchte, sich zu wehren, aber er war so erbarmungslos wie eine Maschine.
    Er zog sie heraus, drehte sie und ließ sie durch die Luft treiben. Vor Ablauf einer Minute würde sie nicht den Boden berühren, und er rechnete offensichtlich damit, sie wieder in seine Gewalt bringen zu können. Während sie sich in der Luft drehte, sich fragte, was geschehen war, sah sie Treces Augen, wie sie ihren Bewegungen folgten. Nur den Bruchteil einer Sekunde später wurde ihr klar, daß auch Trece sie sah. Er war mit einem Sicherheitsgurt gefesselt, und der Gurt war an einer Wandverstrebung befestigt. Er war noch hilfloser als sie.
    Eisige Furcht erfüllte das Mädchen.
    »Ist das ein Verbrechen?« flüsterte sie in die leere Luft. »Ist das, was du mit mir machst, ein Verbrechen?«
    Talatashar antwortete nicht, aber seine Hände umklammerten ihre Schultern mit einem festen, schrecklichen Griff. Er drehte sie herum. Sie schlug nach ihm. Er schlug zurück und traf sie so fest, daß ihr Kinn sich in eine einzige Wunde zu verwandeln schien.
    Unabsichtlich hatte sie sich selbst schon einige Male Schmerzen zugefügt; die Arztroboter waren ihr dann immer zu Hilfe geeilt. Aber noch niemals hatte ein anderes menschliches Wesen sie verletzt. Menschen zu verletzten – so etwas tat man nicht, und wenn, dann nur zur Unterhaltung der Menschen! So etwas tat man nicht. So etwas konnte nicht geschehen. Es war geschehen.
    Mit einemmal erinnerte sie sich an das, was Trece ihr über die Alte Zweiundzwanzig erzählt hatte und über das, was den Menschen zugestoßen war, als sie ihr Selbst draußen im All verloren hatten und aus ihrem Innern das Böse emporstieg, das ihnen, auch nach über einer Million Jahren der Menschwerdung, noch immer folgte – auch hinaus in den Weltraum selbst.
    Dies war das Verbrechen, das zu den Menschen zurückgekehrt war.
    Mühsam vermochte sie, es Talatashar zu sagen. »Wirst du ein Verbrechen begehen? Auf diesem Schiff? Mit mir?«
    Sein Gesichtsausdruck war schwer zu deuten, denn die Hälfte seines Antlitzes war erstarrt zu einer ewigen Fratze unerfüllten Gelächters. Sie sahen einander jetzt an. Ihr Gesicht brannte von dem schmerzhaften Schlag, aber die unversehrte Hälfte seines Gesichtes verriet nicht, daß ihr Schlag ihm ebenfalls Schmerzen zugefügt hatte. Sie verriet lediglich Stärke, Wachsamkeit und eine Sehnsucht, die vollkommen und unvorstellbar verdreht war.
    Schließlich antwortete er ihr, und es war, als ob er die Wunder seiner eigenen Seele durchforschte.
    »Ich werde tun, wonach es mich verlangt. Wonach es mich verlangt! Verstehst du das?«
    »Warum bittest du uns nicht einfach darum?« stieß sie hervor. »Trece und ich werden alles tun, was du willst. Wir sind ganz allein in diesem kleinen Schiff, Millionen Kilometer draußen im Nichts. Warum sollten wir

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