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Intensity

Intensity

Titel: Intensity Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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verbracht hatte, mit niemandem an ihrer Seite, um gemeinsam die Sonnenuntergänge zu betrachten, den Sternenhimmel, die turbulente Schönheit von Sturmwolken. Sie wünschte sich, sie wäre mehr auf die Menschen zugegangen, statt sich in sich zurückzuziehen, und hätte aus ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht. Nun, da nichts mehr eine Rolle spielte und die Einsicht ihr nicht mehr helfen konnte, wurde ihr klar, daß für einen Menschen allein weniger Hoffnung auf Überleben bestand als im Schutz einer Gemeinschaft. Sie hatte ganz genau gewußt, daß Schrecken, Verrat und Grausamkeit ein menschliches Gesicht hatten, aber nicht genügend zu würdigen gewußt, daß dies auch für Mut, Freundlichkeit und Liebe galt. Hoffnung war keine Heimarbeit; sie war weder ein Produkt, das sie herstellen konnte wie Stickereien, noch eine Substanz, die sie in ihrer vorsichtigen Einsamkeit ausscheiden konnte, wie ein Ahornbaum die Sirupessenz absondert. Hoffnung ließ sich nur in anderen Menschen finden, indem man ihnen die Hand reichte, Risiken einging, die Festung des Herzens öffnete.
    Diese Erkenntnis schien so offensichtlich zu sein, die einfachste aller Weisheiten, und doch hatte sie sie erst jetzt, am äußersten Ende, akzeptiert.
    Und die Gelegenheit, dementsprechend zu handeln, war schon lange verstrichen. Sie würde sterben, wie sie gelebt hatte – allein. Diese weitere Erkenntnis hätte noch größere Tränenströme fließen lassen können, trieb sie statt dessen jedoch zu einem noch öderen Ort als dem, an dem sie zuvor gewesen war, zu einem inneren Garten aus Stein und Asche.
    Dann, während sie noch aus dem Fenster schaute, sah sie, daß sich im letzten Licht der Dämmerung etwas bewegte. Obwohl sie es aufgrund ihrer Tränen nur verschwommen ausmachen konnte, erkannte sie, daß es zu groß war, um ein Dobermann zu sein.
    Aber wie konnte es ein Mensch sein, wenn Vess aufgebrochen war?
    Chyna tupfte ihre Augen mit dem Pulloverärmel ab und blinzelte, bis die geheimnisvolle Gestalt sich aus den Tränenschleiern und dem Zwielicht herausschälte. Es war ein Elch. Eine Elchkuh, ohne Geweih.
    Sie trabte im Paßgang über den Garten, von den bewaldeten Ausläufern der Hügel nach Westen, und blieb zweimal stehen, um ein Büschel des saftigen Grases zu fressen. Wie Chyna vor vielen Jahren in den Monaten auf der Ranch im Mendocino County gelernt hatte, waren diese Tiere überaus gesellig und lebten stets in Herden, doch dieses hier schien allein zu sein.
    Die Dobermänner hätten diesem Eindringling nachsetzen und, erregt von der Aussicht auf Blut, bellen und knurren müssen. Die Hunde hätten das Tier selbst von der entlegensten Ekke des Grundstücks riechen müssen. Doch es waren keine Dobermänner zu sehen.
    Ebenso hätte der Elch den Geruch der Hunde aufnehmen und sofort mit aufgerissenen Augen und schnaubend in Sicherheit laufen müssen. Die Natur hatte seine Spezies zur Beute von Berglöwen, Wölfen und Kojotenrudeln bestimmt; als potentielle Mahlzeit auf Hufen für so viele Raubtiere waren Elche immer aufmerksam und vorsichtig.
    Doch diesem Exemplar schien es völlig gleichgültig zu sein, daß Hunde in unmittelbarer Nähe waren. Abgesehen von den beiden kurzen Pausen beim Grasen kam es direkt zur hinteren Veranda und zeigte keine Spur von Nervosität.
    Obwohl Chyna keine Expertin für die heimische Tierwelt war, hatte sie den Eindruck, daß es sich um einen Küstenelch handelte, ein Tier derselben Gattung, die sie im Mammutbaumwald gesehen hatte. Sein Fell war graubraun, und es hatte die typische schwarzweiße Zeichnung auf Leib und Kopf.
    Und doch war sie sicher, daß dieser Ort zu weit vom Meer entfernt war, um ein geeignetes Revier für Küstenelche zu sein oder die ideale Vegetation für ihren Speiseplan zu bieten. Als sie das Wohnmobil verlassen hatte, hatte sie in allen Himmelsrichtungen Berge gesehen. Nun hatte es zu regnen aufgehört, und der Nebel hatte sich gehoben; im Westen, wo das letzte Tageslicht schnell wich, drückten sich die schwarzen Silhouetten hoher Gipfel gegen zerrissene Wolken und den spannungsgeladenen violetten Himmel. Bei einer Bergkette von solch beeindruckender Höhe zwischen diesem Ort und dem Pazifik war es ausgeschlossen, daß Küstenelche so weit landeinwärts vordrangen, denn sie waren im Flachland zu Hause, auf Ebenen und sanften Hügeln. Dieses Tier mußte einer anderen Elchart angehören – obwohl es von der Färbung her den Exemplaren, die sie in der vergangenen Nacht gesehen

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